„Arisierungen“ jüdischer Geschäfte werden bei heutigen Firmenjubiläen
oft vergessen

von Hans-Dieter Arntz
05.06.2008

Firmenjubiläen, aber auch markante Gebäude im Stadtbild sind durchaus wichtige Aspekte für die Regionalhistorie. Beide sind mit der wirtschaftlichen, aber auch politischen Entwicklung einer Stadt verbunden und sollten auch so im Bewusstsein geschichtlich interessierter Bürger bleiben.

kaufhaus eschweiler

Das jüdische „Euskirchener Strumpfwaren- und Trikotagenhaus“ (E.S.T.) von Carola Fromm auf der Neustraße 50/Ecke Wilhelmstraße im Jahre 1936. (Foto Heumann/USA)  

Unter der Überschrift „Seit 125 Jahren schwer in Mode“ zeigte die Kölnische Rundschau, Lokalteil Euskirchen, am15. April ein Firmengebäude an der Ecke Neustraße/Wilhelmstraße, das schon in „den 20er Jahren als Manufaktur-, Kurz- und Weisswarengeschäft prächtig aussah“. Es könnte also nun der Eindruck entstehen, als ob dieses stattliche Geschäftshaus tatsächlich schon in dieser Zeit vollständig im Besitz der heutigen Inhaber war und dass die Zeit – auch politisch – spurlos  vorübergegangen ist. Das war aber offensichtlich nicht so!

Jedoch sei doch darauf hingewiesen, dass jüngere Firmeninhaber gelegentlich bei ihren Jubiläen wichtige Aspekte in ihrer Chronik vergessen oder nicht kennen. Das scheint bei der 125-Jahr-Feier des Geschäftshauses E(…) auch der Fall gewesen zu sein, denn die Firmengeschichte zur Zeit des Nationalsozialismus wird nicht erwähnt – zumindest nicht in dem Zeitungsartikel. Die folgende Erklärung dient nicht der Polemik, sondern soll eine  Ergänzung durch die Regionalhistorie sein.

Um hiermit die Interessen der jüdischen Familien Heumann, Fromm und Schweizer wahrzunehmen, möchte ich anmerken, dass stattdessen das abgebildete Gebäude das einstige „Euskirchener Strumpfwaren- und Trikotagenhaus“ (E.S.T.) darstellt, das sich in der Mitte der 30er Jahre auf der Neustraße Nr. 50 befand. Die renommierte Firma Baptist E(…) hatte ihr ansehnliches Kaufhaus dagegen auf der Neustraße Nr. 40, also in unmittelbarer Nähe. Deren attraktiver Bau am Neutorwall ist  auf Seite 21 des 1. Bildbandes „Euskirchen – so wie es war“ abgebildet. Seite 16 desselben Buches zeigt das erste und ursprüngliche, an anderer Stelle gelegene Textilgeschäft E(…) etwa in der Zeit vor dem 1.Weltkrieg. Neben dem „Haupthaus“ in der Neustraße Nr. 40 gab es in der Wilhelmstraße Nr. 6 nur ein „Zweiggeschäft“, wie es in Grevens Adressbuch 1939, Seite 23, heißt. Und auch dieses Haus war bis 1938/39 in jüdischem Besitz. Eigentümer war Siegmund Schweizer, dessen Enkel, Fred Schweizer, heute in Luxemburg lebt.

Bis zum 14. Oktober 1938 waren Carola Fromm geb. Heumann, wohnhaft in Euskirchen, Baumstraße 7, und ihr Ehemann Walter, die rechtmäßigen Eigentümer des „Euskirchener Strumpfwaren- und Trikotagenhauses“, also dem Geschäft, das genau an der Ecke Wilhelmstraße/Neustraße, lag. Das o.a. Foto aus der Zeit des Dritten Reiches zeigt nicht nur das Gebäude in Neustraße Nr. 50, sondern auch das Firmenemblem „E.S.T“.

estLaut den Unterlagen der in den USA lebenden Familie Heumann befand sich „E.S.T.“ bis zum Mai 1926 in der Hochstraße 11, dann in der Neustraße 32 und wegen des geschäftlichen Erfolges wenige Jahre später schon an der Ecke Wilhelmstraße/Neustraße. Das Eckhaus mit dem großen Eingang gehörte bis 1938 zur Neustraße Nr. 50. Die kleine Filiale des Kaufhauses E. war durch einen Nebeneingang daneben zu betreten, also auf der Wilhelmstraße 6. Der Hausbesitzer war der erwähnte Siegmund Schweizer. Viele jüdische Geschäfte befanden sich ebenfalls  in der Wilhelmstraße. Sie wurden an anderer Stelle detailliert aufgelistet.

Nach dem 30. Januar 1933 wurden auch in Euskirchen die Juden aus dem Wirtschaftsleben verdrängt. Zu diesem Zeitpunkt hatte das bekannte Kurzwarengeschäft Siegfried Hanauer, Wilhelmstraße 7 bzw. 11, schon rechtzeitig den Verkauf eingestellt. Es folgten u.a. : Mendel Antmann, Wilhelmstraße 2, (Konfektion und Schuhe), Cleffmann & Co. Wilhelmstraße 18 (Textilwaren), Wertheim & Breschinsky, Wilhelmstraße 33 (Lederhandel), Karl Kahn, Wilhelmstraße 49 (Viehhandel), Siegmund Schweizer, Wilhelmstraße 51 (Grundstücksmakler), Markus Schwarz, Wilhelmstraße 16 (Viehhandel), Karl Schweizer & Co und Ludwig Kahn, Wilhelmstraße 5 (Häutehandlung und Metzgereibedarfsartikel) und schließlich auch  das „E.S.T.“ von Carola Fromm.

Dieser Betrieb wurde 1938 ebenso „arisiert“ wie zum Beispiel  auch schon im Mai 1936 das große Eifelkaufhaus auf der Bahnhofstraße, das ursprünglich dem jüdischen Mitbürger Josef Herz gehörte und von dem aus Berlin-Lichterfelde stammenden Dr. G.T. übernommen wurde (Vgl. Euskirchener Stadtarchiv, Bestand IV, Nr. 18).

Das Buch JUDAICA – Juden in der Voreifel schildert besonders im Kapitel 21 (Vgl. hier S. 218) die Vernichtung des Euskirchener Geschäftslebens. Gemäß der Verordnung vom 14. Juni 1938 – RGBl. I, S. 627 – und dem RdErlaß des Reichsinnenministers vom 14. Juli 1938 – RMBl iv. Nr. 30 – hatte jede Gemeinde ein Verzeichnis jüdischer Gewerbebetriebe „zwecks öffentlicher Einsichtnahme“ anzulegen. Ende Juli traf in der Euskirchener Stadtverwaltung eine Verordnung des Regierungspräsidenten in Köln ein, dass „mit der Anlegung sofort zu beginnen ist, indem an alle als jüdisch bekannte oder verdächtige Betriebe die Eintragungsankündigung nach Anl.2 des RdErl. zu senden ist“. Auf dieser Liste stand auch das „Euskirchener Strumpfwaren- und Trikotagenhaus“ (E.S.T.).

Am 31. August 1938 teilte die Firma Baptist E(…), die laut Grevens Adressbuch von 1939, Seite 23, auf der Wilhelmstraße 6 nur ein „Zweiggeschäft“ besaß, dem Regierungspräsidenten in Köln die avisierte Übernahme des jüdischen Geschäftes „E.S.T.“ mit, worauf ihr am 1. September die gemäß dem Gesetze zum Schutze des Einzelhandels erforderlichen Formulare auf Übernahme eines Geschäfts zwecks Ausfüllung übersandt wurden. Drei Wochen später mussten die jüdischen Inhaber Carola und Walter Fromm – am gleichen Tage wie die beiden jüdischen Pferdehändlern Billig von der Annaturmstraße wegen ihrer eigenen Geschäftsaufgabe – bei der Industrie- und Handelskammer zu Köln vorstellig werden, um den Verkauf und die endgültige Übergabe ihrer Betriebe in „arische Hände“ schriftlich zu bestätigen (Vgl. StA EU, Bestand IV, Nr. 2136).

Dem damaligen Zeitgeist gemäß verlief die Übertragung jüdischer Geschäfte in den „arischen“ Besitz ungemein schnell. Am 22. September 1938 wurde – nach Zahlung einer zusätzlichen Verwaltungsgebühr in Höhe von 10 RM – die Genehmigung zur Übernahme der Geschäftsräume der „E.S.T“ schriftlich bestätigt (StA EU, Bestand IV, Nr. 2136). Mit einer letztmaligen Quittierung im Euskirchener Rathaus am Vormittag des 14. Oktober 1938 ging das jüdische Geschäft der Eheleute Walter und Carola Fromm geb. Heumann in den Besitz der Firma Baptist E(…) über. Das seit 1938 vergrößerte Verkaufspotenzial der Firma E. verlor auch mit der Zerstörung des Kaufhauses an der Ecke Neustraße 50/Wilhelmstraße wertvolle Substanz. Schon kurz vorher hatte die Firma ihr großes Kaufhaus auf der Neustraße 40 am Neutorwall durch Kriegseinwirkung verloren.

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Von Bomben getroffen: Das ehemalige jüdische Kaufhaus E.S.T. auf der Neustraße. (Foto aus dem Buch von Hans-Dieter Arntz: KRIEGSENDE – Durch die Voreifel zum Rhein, Aachen 2007, Seite 103.

Nach dem 2. Weltkrieg erfolgte mit Fleiß und Engagement ein Neubeginn, so dass die Firma E.   zu den wenigen Familien-unternehmen in Euskirchen gehört, die eine heutzutage seltene  Kontinuität nachweisen können.

Die Darstellung des Sachverhaltes soll somit keineswegs die kaufmännische Leistung  der erfolgreichen Firma E(…) sowie das 125jährige Jubiläum schmälern. Man sollte aber nicht vergessen, dass auch unsere ehemaligen jüdischen Mitbürger direkt oder indirekt an der wirtschaftlichen Entwicklung der Kreisstadt Euskirchen beteiligt waren.

Als die Kölnische Rundschau am 26. April 1989 über die Chronik der Euskirchener Fleischer-Innung berichtete, die in ihrer Darstellung Aspekte des 3. Reiches vernachlässigte, verfasste ich einen  Leserbrief, der dankenswerterweise vollständig am 1./2. Mai unter der Überschrift „Warum kein Wort von jüdischen Metzgern?“ von der Redaktion publiziert wurde. Die Reaktion des Obermeisters, Hans Gerd Engelen, und des Geschäftsführers, Uwe Günther, war positiv. Am 16. Mai 1989 schrieben sie: …Die von Ihnen dargestellten Sachverhalte sind uns im Detail bis dahin nicht bekannt gewesen. Wir möchten gerne von Ihren Kenntnissen profitieren und werden die von uns fortgeschriebene Innungsgeschichte um Ihre Ausführungen anreichern.

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