Die Eindrücke von Ignatz Hanauer (1885-1971),
der im Jahre 1966 seine Heimatstadt Euskirchen besuchte

von Hans-Dieter Arntz
02.06.2008

Zu den prominenten jüdischen Familien, die bis zur Vertreibung oder Deportation in der Kreisstadt Euskirchen lebten, gehörte auch die Familie Hanauer. In der Festschrift der „Euskirchener Verkehrswoche“ von 1925 konnte sie bereits auf  ihr  40jähriges Geschäftsjubiläum hinweisen: „Seit 40 Jahren ist die Firma S. Hanauer, Euskirchen, Wilhelmstraße 11, führend in den Artikeln: Webwaren, Wollwaren, Wäsche, Betten, Bekleidung für Damen und Kinder.“

Da Angehörige der vielköpfigen jüdischen Familie Hanauer bereits vor der so genannten Machtergreifung durch die Nationalsozialisten die Kreisstadt Euskirchen verließen und nach Unna und Palästina auswanderten, ist die Erinnerung an sie nicht unbedingt mit Berührungsängsten verbunden, die ich gelegentlich noch heute bei persönlichen Kontakten und Besuchen von einst in Euskirchen beheimateten jüdischen  Mitbürgern habe.

Auch die Erinnerung an Ignatz Hanauer (1885-1971), der bereits 1906 Deutschland verließ und in den Vereinigten Staaten eine „Tellerwäscher-Karriere“ vollbrachte, wirkt positiv. Ohne jetzt an dieser Stelle auf die Genealogie und das Schicksal der vielköpfigen Familie einzugehen, soll an den ursprünglich kleinen Laden auf der Wilhelmstraße 7 erinnert werden, der in der Euskirchener Zeitung von 1901 abgebildet wurde. Auch dieses „Stammhaus“ besuchte  Ignatz Hanauer, als er im Juli 1966 zu einem kurzen Besuch in seine Heimat zurückkehrte.

 

Werbung aus der Euskirchener Lokalpresse


Die Kölnische Rundschau, Lokalteil Euskirchen, berichtete am 29. Juli 1966 unter der Überschrift:

„Glück in den Staaten, aber Heimweh nach Euskirchen:
Vor 60 Jahren wanderte Ignatz Hanauer aus.“

Ignatz Hanauer wurde am 3. Juni 1885 in Euskirchen geboren. Nach der zweijährigen Dienstzeit in Koblenz wanderte er dann zunächst im Jahre 1906 nach Afrika aus. Dort hielt es ihn allerdings nicht lange. Bereits zwei Jahre später zog es ihn in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, nach Amerika. Über England und Luxemburg kam er im Jahre 1908 in die Vereinigten Staaten. Dort arbeitete er sich allmählich empor, kaufte Häuser und Grundstücke, die er dann mit erheblichem Gewinn wieder verkaufte. Sein Hauptgeschäft war eine große Tabakplantage.

Noch heute besitzt er an seinem Wohnort Newtown im Staate Con­necticut und an der kanadischen Grenze größere Ländereien, die sein Sohn erben wird. Dieser Sohn ist der einzige Nachkomme aus der Ehe mit einer Irländerin, die Ignatz Hanauer im Jahre 1910 in Amerika heiratete. Auf amerikanische Be­griffe übertragen, bezeichnete sich Ignatz Hanauer als vermögend. In Deutschland, so meinte der auf­geschlossene und rüstige Mann, würde man ihn zu den reichen Leuten zählen.

Auch gesundheitlich ist Ignatz Hanauer noch auf der Höhe. Schwierigkeiten bereitet ihm allerdings das Gehen. Während seines Aufenthaltes in Euskirchen lässt er sich mit einem Taxi zu den Se­henswürdigkeiten der Stadt und der näheren Umgebung fahren. Peter Neuburg, der zusammen mit Ignatz Hanauer in Koblenz gedient hat, und der Hotelier Peter Strang setzen sich sehr für den Gast aus den Staaten ein.

Ignatz Hanauer, der auch heute noch ein akzentfreies Deutsch spricht, fühlt sich in Euskirchen wieder wie zu Hause  und denkt noch gar nicht an den Tag der Rückreise. Sohn und Schwiegertochter wa­ren allerdings nicht dafür, dass Ha­nauer auf seine alten Tage noch einmal die Reise nach Europa an­treten sollte. Aber das Heimweh im Herzen des 81jährigen setzte sich über alle Vorsichtsmaßnahmen hinweg.

Zur Jahrtausendfeier im Rheinland weilte Ignatz Hanauer zum letzten Mal im Sommer 1925 in Deutschland. Zu Euskirchen sagte Hanauer, dass es überhaupt keinen Vergleich zu gleich großen Städten in den Vereinigten Staaten erlaube. Von der Wandlung des früher recht kleinen Eifeldorfes zu einer modernen Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte sich Ignatz Hanauer jedoch sehr überrascht. Er hatte gedacht, in Euskirchen würden die Frauen noch schwere Körbe auf den Köpfen balancieren und die Jungen Mädchen würden noch in fast mittelalterlichen Gewändern promenieren.

Vor einigen Jahren war der Besuch von Ignatz Hanauer schon einmal angekündigt worden. Dieser Besuch musste damals verschoben werden. Der Schwerfener Bildhauer Franz Kött schickte dem gebürtigen Euskirchener mehrere Zeitungen aus seiner Heimatstadt (…). Ignatz Hanauer bleibt noch bis Ende dieses Monats (Juli 1966/d.V.) in Euskirchen.

Wenn den Bürgern von Euskirchen also in den nächsten Tagen ein älterer Herr, dem man seine 81 Jahre allerdings nicht ansieht, begegnet, der aus dem Staunen über die Ausbreitung seiner Heimatstadt Euskirchen nicht mehr herauskommt, dann ist das mit Sicherheit Ignatz Hanauer.

Erst am 29. Juli tritt er in einem Nonstopflug von Brüssel aus seine Heimreise an. Zuvor möchte er jeden Winkel seiner Geburtsstadt Euskirchen noch einmal aufsuchen, an die er in den vergangenen Jahren immer sehnsüchtig gedacht hat und von der er die besten Erinnerungen mit zurück nach Newtown in Connecticut nehmen möchte.

Ignatz Hanauer lebte bis zu seinem Tode in Fairfield, einem 1.800 Einwohner zählenden Vorort von Newtown in Connecticut/USA. Er starb dort im  Februar 1971.

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