Zwei vergessene und daher erhalten gebliebene Landsynagogen
in der Voreifel: Lommersum und Sinzenich

von Hans-Dieter Arntz
02.02.2008

Gibt es heute noch Synagogen in der Voreifel und Eifel  oder genauer gefragt: Haben einige Synagogen in der Nordeifel den Novemberpogrom von 1938 überstanden? Diese Frage wird sich mancher Bürger der Altkreise Euskirchen, Schleiden sowie Monschau stellen, wenn am 9.und 10.November dieses Jahres -  nach 70 Jahren - wieder ein Rückblick auf die so genannte „Reichskristallnacht“ erfolgt. Die Antwort ist: JA! In Lommersum (Weilerswist) und in Sinzenich (Zülpich)!

27 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde erstmals in einer Veröffentlichung des Historischen Vereins für den Niederrhein auf die Stommelner Synagoge, - „die einzige alte Synagoge, die im Regierungsbezirk Köln erhalten ist“ -, hingewiesen. Es war Klaus H.S. Schulte, der unvergessene Nestor der rheinischen Judaica-Forschung, der bereits 1972 die von ihm entdeckte Synagoge von Stommeln beschrieb.

Unter der Überschrift „Bemühungen zur Rettung der ehemaligen Synagoge in Stommeln“ – vgl. Juden in Stommeln, Pulheim 1987,Band 2, S.295ff. –, stellte Peter Schreiner die Wiederentdeckung der Stommelner Synagoge und deren Renovierung dar. Heute ist sie ein kulturelles Zentrum der Region.

 

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Die restaurierte Synagoge in Stommeln (1987)

Quelle: Juden in Stommeln, Pulheim 1987, Band 2, S.294. (Abdruck mit Genehmigung des Vereins für Geschichte e.V.)

 

Während heute viele junge Historiker nur noch in Archiven sitzen und kaum mehr in der Lage sind, Kontakt zu einem Zeitzeugen aus jener Zeit zu suchen oder gar zu finden, war es der Rechtsanwalt und Genealoge Klaus H.S.Schulte, der durch die Aufarbeitung unzähliger Akten und durch zusätzlich viele Besuche bei Überlebenden die Grundlage für spätere Forschergenerationen schuf. Viele Dokumentationen stammen heutzutage von Kompilatoren! In diesem Zusammenhang unterschied früher einmal Prof. Kals aus Aachen zwischen „Sammlern“ und „Jägern“. Schultes Werk „Dokumentation  zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein seit dem 17. Jahrhundert“, Düsseldorf 1972, wäre somit das Ergebnis eines „Jägers“. Daher ist es auch heute noch von unschätzbarem Wert.

Im heutigen Kreis Euskirchen, der zu den größten Flächenkreisen der Bundesrepublik Deutschland zählt, gibt es offenbar nur noch zwei – sehr kleine und unscheinbare – Landsynagogen, die den Novemberpogrom aus verschiedenen Gründen überlebt haben, nämlich in LOMMERSUM/bei Weilerswist und in SINZENICH/bei Zülpich.

Während die erste inzwischen bekannt ist und unter Denkmalschutz steht, wurde das kleine Gebäude in Sinzenich bis in die Gegenwart hinein völlig vergessen.

1. Die Lommersumer Synagoge

Der engagierte Schulrektor Peter Simons, langjähriger Heimatforscher des Altkreises Euskirchen, hatte bereits in den 20er Jahren die Historie „der hiesigen Judenschaft“ beschrieben. Bei der Abfassung des „Lommersumer Heimatbuches“ verstarb er, hinterließ aber genügend Material, so dass der Journalist Clemens Frhr. von Fürstenberg das Buch im Auftrage des Vereins der Geschichts- und Heimatfreunde des Kreises Euskirchen abschließen und 1959 publizieren konnte. Dort wird die kleine Synagoge von Lommersum in einer zeitgemäßen Diktion erwähnt:

Um 1904 baute Hermann Kain an Stelle eines ebenfalls in Judenhand befindlichen Fachwerkhauses in der Zunftgasse einen Betraum, der endlich die Abhaltung von Gottesdiensten am Wohnort der Lommersumer Juden gestattete. Bis dahin waren die glaubenstreuen Israeliten nach Großbüllesheim gepilgert, wenn an den Samstagen der Rabbiner von Euskirchen dorthin kam.

Die kleine Synagoge wurde durch die Freigebigkeit der Glaubensgenossen bald mit den erforderlichen Kultgeräten ausgestattet. Der Siebenarmige Leuchter stand auf seinem Platz, und das Moses-Symbol wurde in einem hölzernen Kasten ehrfürchtig aufbewahrt. Zehn Juden mußten dem Ritus entsprechend an den Sabbathfeiern teilnehmen; fehlten einige an der Zahl, so wurden Glaubensfreunde aus Büllesheim herübergebeten, und konnten auch diese der Witterung wegen nicht anwesend sein, so behalf man sich, wie glaubhaft versichert wird, auch mit einem Christen.

Wurde der Betraum zu Anfang eifrig benutzt, so ließ zu Beginn der zwan­ziger Jahre der Glaubenseifer merklich nach, und es erhob sich kein Wider­spruch, als Kain das Grundstück an einen nichtjüdischen Kaufmann ver­äußerte, der dort eine Schusterei eröffnete. (S.97/98)

Somit ging der Sturm des Novemberpogroms 1938 an dem kleinen jüdischen Bethaus von Lommersum vorüber. Damals war es längst in „arischem Besitz“, und so bestand nie die Gefahr einer Zerstörung.

 

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Die Landsynagoge von Lommersum
Foto: Arntz (Januar 2008)

 

Vor etwa 10 Jahren hatte die Historikerin Elfi Pracht noch keine Möglichkeit, das Innere des Gebäudes in der Zunftgasse zu betreten. In ihrem Buch „Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen“, Köln 1997, Band 1, S.383, beklagt sie sich darüber und konstatiert: „Es war der Verfasserin verwehrt, das Innere des Hauses zu betreten. Gegen den Willen des heutigen Eigentümers, der das in seinen Augen völlig veraltete Bauwerk abreißen lassen wollte, wurde das Gebäude in der Zunftgasse 9 in die Denkmalliste der Gemeinde Weilerswist eingetragen.“

Mit diesem Problem hatte ich nicht zu tun. Seit etwa 4 Jahren ist das jüdische Gebetshaus von Lommersum, in dem vor 80 Jahren der letzte Minjam stattfand, im Besitz von Iris und Stefan Esser, die sehr an einer Restaurierung interessiert sind und auf eine finanzielle Unterstützung der Gemeinde Weilerswist und des Denkmalschutzes hoffen. Dort hat man aber offenbar kein Interesse daran, den Verfall des jüdischen Gotteshauses aufzuhalten! Meine Ortsbegehung wurde von den Eheleuten Esser anstandslos am 23. Januar 2008 ermöglicht, so dass erstmals Fotos vom jetzigen Zustand der Lommersumer Landsynagoge veröffentlicht werden können. Hierfür dankt der Autor den Eigentümern an dieser Stelle ausdrücklich.

Folgende Beschreibung der Lommersumer Bethauses erfolgte durch die Bestandsaufnahme durch das Rheinische Amt für Denkmalpflege in Pulheim-Brauweiler und wurde auch bei Elfi Pracht, a.a.O., Seite 383 abgedruckt:

Es präsentiert sich als giebelständiger eingeschossiger Backstein­bau auf rechteckigem Grundriß und niedrigem Sockel. Das Satteldach ist mit Tonpfannen eingedeckt. Die Eingangstür befindet sich in der Mitte der linken Traufseite. Die straßenseitige Schaufassade weist zwei rechteckige Fenster mit waagerechtem Sturz und Sandsteinsohlbank auf. Die Fenster sind heute meist mit doppelschlägigen Läden verschlossen. Im Giebeldreieck ist ein Rundfenster mit Sandsteingewänden. Eckpilaster mit waagerechtem Abschluß ragen über die Traufhöhe ebenso hinaus wie der Mittelpfeiler, der den überfirsthohen Giebel bekrönt. Ein weiteres Schmuckelement ist das mehrfach profilierte Traufgesims unter dem Giebel. Das Gebäude beherbergte lediglich einen Betraum. Wo die Frauenempore installiert war, läßt sich nicht mehr nachvollziehen. Die ehemalige Synagoge wird heute als Lagerraum benutzt.

Ohne jetzt auf die bauliche Substanz und die derzeitige Nutzung des Gebäudes einzugehen, kann gesagt werden, dass der ursprüngliche Zustand noch gut zu erkennen ist. Auch der Zugang zum kleinen Dachgeschoss ist durchaus möglich. Die Fensterrahmen,Türfassung und die Türe selber sind original. Es hat offenbar nie eine Frauenempore gegeben. Ebenso wie in Sinzenich wird es so gewesen sein, dass sich die Frauen und Männer gegenübergesessen haben, wie das von den ehemaligen jüdischen Gemeindemitgliedern auch im Januar 2008 telefonisch bestätigt wurde.

Da die neuen Eigentümer erst vor einigen Jahren eingezogen sind, sollte ihnen kein Vorwurf für die derzeitige Benutzung als Schuppen gemacht werden. Das Ehepaar Esser ist ausgesprochen hilfsbereit und an einer finanziell unterstützten Renovierung interessiert.

 

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2. Die Landsynagoge von Sinzenich

Auch sie überstand die „Reichskristallnacht“ unbeschadet. Der wesentliche Unterschied zu Lommersum besteht allerdings darin, dass sie sich 1938 noch im Privatbesitz des jüdischen Parnes Leo Horn befand. Somit ist der Hinweis auf dieses Gebäude wichtig. Es handelt sich bei der Landsynagoge  von Sinzenich um das einzige jüdische Gotteshaus im heutigen Kreis Euskirchen - der sich heutzutage aus den Altkreisen Schleiden und Euskirchen zusammensetzt -, das den Novemberpogrom 1938 vollständig überstand und somit als Landsynagoge bis heute erhalten geblieben ist. Sie steht nicht unter Denkmalschutz.

Längere Telefonate am 25.und 26. Januar 2008 mit den heute in den USA lebenden Schwestern Ilse (verh. Nathan) und Ruth (verh. Siegler) Scheuer  sowie deren Cousine Evelyn Levy (Heilbron), die einst in Sinzenich beheimatet waren, ergaben, dass in der Kehilla nur der im Garten gelegene Anbau als Synagoge galt. Die fanatisierten Nationalsozialisten legten beim Novemberpogrom aber kein Feuer, so dass das Gebäude in einem unversehrten Zustand, wie in einem Dornröschenschlaf, bis in die Gegenwart hinein gerettet werden konnte.

Die Landratsamtakte für den Kreis Euskirchen Nr.278 bestätigt, dass sich bereits im Jahre 1869 ein kleiner Betsaal im Obergeschoss des Hauses von Josef Horn II, Am Bach Nr.12, befand, der allerdings später nur gelegentlich bis ins 20. Jahrhundert benutzt wurde. Aber schon längst war wegen der Vergrößerung der kleinen Gemeinde ein eigenes Gebäude notwendig, das heute erstmals kartographisch nachgewiesen werden soll. Dank der schnellen Hilfe des Euskirchener Katasteramtes kann belegt werden, dass sich in einem zum Garten hin gelegenen Anbau die kleine Landsynagoge befand. Umbauten haben später nicht stattgefunden. Laut Katasterbeleg bestand das Gebäude schon 1880/81.

 

stommeln03Das im linken Teil des Katasterauszugs nachgewiesene Gebäude der Landsynagoge von Sinzenich auf dem Anwesen
der jüdischen Familie Horn. Die Grundfläche ist etwa 5 mal 11 m.

 

Wie bereits vor mehr als einem Jahrhundert muss man auch heute eine Treppe benutzen, um in den etwa 55 qm großen ehemaligen Gebetsraum zu gelangen. Er wird zurzeit von dem Sohn eines Nachbarn der heutigen Besitzer, Loretta und Peter Klyk, im „modern style“ bewohnt und ist in einen Wohnraum sowie ein Kämmerchen und einen Sanitärbereich unterteilt. Bis zur „Reichskristallnacht“ handelte es sich um einen durchgehenden Raum, in dem sich die jüdischen Männer und Frauen gegenübersaßen. Eine Frauenempore gab es nicht. Heute erinnert nur noch die gewölbte Decke an die einstige sakrale Nutzung durch die kleine jüdische Gemeinde von Sinzenich. Zu ihr gehörten damals u.a. die Familien Felix Hartoch, Leo Kaufmann, Ludwig Levy, Moritz Horn, Jacob und Julius Scheuer, Josef Scheuer sowie Leo Sommer.


In diesem Gebetsraum befanden sich beim Novemberpogrom die Koffer der jüdischen Familie Ludwig Levy, die einige Tage später in die Vereinigten Staaten auswandern wollte. Sie wurden von fanatisierten Nationalsozialisten geplündert oder gestohlen. Die Gebetbücher wurden in den nahen Bach geworfen.


innenraum_synagoge Der Betraum der ehemaligen Synagoge von Sinzenich (Foto: Arntz, 2008)

 

Im Erdgeschoss der Landsynagoge befinden sich drei kleine Räume, von denen einer Aufmerksamkeit erregt, da an der Decke Haken befestigt sind. Bis vor einigen Tagen bestand die Vermutung, dass sie zum rituellen Schächten gedacht waren. Jetzt weiß man, dass dies nicht der Fall war. Frau Ruth Siegler geb. Scheuer bestätigte telefonisch, dass nur ihr Vater, Jakob Scheuer, der Schochet der Gemeinde Sinzenich war, und dafür einen besonderen Raum in seinem eigenen Hause, zwei Gebäude weiter, mit einem dazugehörigen Kühlraum besaß. Offenbar wurden die Haken nach dem 2.Weltkrieg angebracht.

 

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Vor und nach der privaten Restaurierung

 

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Treppenaufgang zum Betraum der Landsynagoge Sinzenich

 

Das einstige Wohn-und Geschäftshaus des jüdischen Textilwarenhändlers der Familie Moritz Horn befand sich am Bach Nr.12/14, heute Auf dem Sand Nr.12. Die heutigen Besitzer sind Loretta und Peter Klyk, die ehrenamtlich und ohne jegliche Hilfe der Gemeinde oder des Denkmalschutzes das gesamte Wohnhaus sowie auch das rückwärtige Synagogengebäude eigenständig restauriert haben. Während letzteres bis vor einigen Jahren eine unansehliche Kunststoff-Verkleidung hatte, kann man heute wieder das Bethaus mit seinen gebrannten Feldsteinen im Originalzustand sehen. Wie die Familie Esser in Lommersum, so überraschte auch bei der Familie Klyk in Sinzenich die Bereitschaft, mir den sofortigen Zugang zur Ortsbesichtigung am 22.und 24. Januar 2008 zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang gab es eine Erinnerung an den früheren jüdischen Hausbesitzer: Ein Lineal mit der Gravur: „Leo Horn, Sinzenich, Kreis Schleiden“. Es wird heute noch von Frau Lorette Klyk benutzt.

 

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                               Angeblicher Schächtraum                                                                          Wohn- und Geschäfthaus von Leopold Horn

 

 

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Leopold Horn (oben, 2. von rechts) im Kreise seiner Freunde

 

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Euskirchener Wochenspiegel vom 20.02.2008

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