Für alle religiösen Gemeinschaften ist die Kirche, das Bethaus oder Gotteshaus das Zentrum eigenständiger Aktivität und religiöser Besinnung. Insofern gibt das griechische Wort „Synagoge“ sinngemäß den hebräischen Ausdruck für „Haus der Versammlung“ wieder. Nach der Zerstörung der Euskirchener Synagoge am 10. November 1938 gab es keinen Grund mehr zur Versammlung und Gemeinsamkeit. Viele Juden aus der Voreifel zogen weg, flüchteten ins Ausland oder verharrten in Apathie. Mit dem Brand des jüdischen Gotteshauses in der Annaturmstraße begann die Auflösung der ältesten jüdischen Gemeinde in der Eifel und Voreifel.
Während durch die Dokumentationsbände JUDAICA – Juden in der Voreifel und „REICHSKRISTALLNACHT“ – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande detaillierte Untersuchungen bezüglich der Synagogen der Nordeifel vorliegen, mangelte es bisher an einer zeitgemäßen und modernen künstlerischen Aufarbeitung.
Der Heimatforscher Franz Sistig war hier wohl der Erste, der sich in den 1970er Jahren die Aufgabe stellte, die kleine Synagoge von Kall (1869-1938) zeichnerisch zu rekonstruieren. Bekannt wurde bei Insidern Karl Kaufmann aus Gemünd, der vor über 20 Jahren mit verschiedenen Maltechniken die Synagoge in der Mühlenstraße (1874-1938) künstlerisch für die Nachwelt festhielt. Im letzten Jahr folgte ihm der Rektor Dieter Hay, der die älteste Synagoge von Zülpich (1602-1872) nach alten Dokumenten zeichnerisch wieder erstehen ließ.
Ein ganz besonderer Stellenwert jedoch kommt der Euskirchener Künstlerin Elke Wessel zu, die sich der Thematik „Euskirchener Synagoge“ (1887-1938) in beeindruckender Form widmet. Nach umfangreichen Recherchen entstand ein Gemälde in Ölfarbe auf Leinwand, mit den Maßen Höhe 132/104 x Breite 106/110. Es wird in dem demnächst erscheinenden Buch „REICHSKRISTALLNACHT“ – Der Novemberpogrom auf dem Lande (Gerichtsakten und Zeugenaussagen am Beispiel der Eifel und Voreifel) – vgl. hierzu NEWS vom 19. März 2008 - auf Seite 182 publiziert.
1. Einige Anmerkungen zu Elke Wessel und ihrem Bild:
Ihre künstlerische Ausbildung erhielt sie in Bonn - Zeichenkurse der Universität -, an der Staatlichen Werkkunstschule in Kassel und den Kölner Werkschulen. Ergänzende Kurse folgten. Sie malt und gestaltet mit allem, was ihr dazu geeignet erscheint: Ölfarben, Aquarell, Tempera u. ä. Ihre Bilder sind meist „narrativ“, Erzählbilder also.
Für die Objekte verwendet sie gerne Fundstücke und alles, was irgendwo „übrig“ geblieben ist, zum Wegwerfen zu schade. Bei der Arbeit erdenkt sie oft der Thematik angemessene Verse. Aus Platzmangel zuerst - heute ist es Gewohnheit - entstehen ihre Bilder und Objekte im Kopf. Das heißt: eine Idee, die ihr vorschwebt, wird zuerst mehrfach als Brainstorming entworfen und konstruiert. Farben, Material und Formen werden gesucht und zusammengefügt, bis die Künstlerin recht genau vor sich sieht, was werden soll. Wenn sie dann beginnt, ihre Arbeit wirklich zu „lieben“, kann diese auch tatsächlich Gestalt annehmen.
Die Installationen, mit denen sie sich in letzter Zeit vermehrt beschäftigte, werden zu bestimmten Anlässen bzw. für ganz bestimmte Orte entworfen. Oft werden Ausstellungen auch zu einem vorgegebenen Thema ausgeschrieben. 2006 bekam sie in Rheinbach - Kunstforum ´99 - Kunst auf dem Campus -, den 1. Preis der Jury für ihre Installation. Die Entscheidung war einstimmig.
Elke Wessel nahm an zahlreichen Ausstellungen und Mail-Art Projekten teil, zum Beispiel in Bad Münstereifel, Blankenheim, Bonn, Castrop-Rauxel, in England - March, Norwich und Newcastle,- Euregio-Maas-Rhein, Euskirchen, Flamersheim, Hohensolms, Kandel, Koblenz, Köln, Kreuzau/Maubach, Mechernich, Meckenheim, Palmersheim, Pont l´Abbé (Frankreich), Regio Aachen/Gemünd, Remagen, Rheinbach, Schleiden, Weilerswist und Wesseling.
Ihre letzte große Arbeit war eine Installation in der Auferstehungskirche in Bonn zu einem vorgegebenen theologischen Thema. Hier konnte sie sich mit ihrer Bewerbung gegen etliche Mitbewerber durchsetzen. Es gab mehrere Veranstaltungen mit musikalischer Begleitung speziell zu ihrer Installation.
2. Die Euskirchener Synagoge
Euskirchener Synagoge (Ausschnitt aus einer Ansichtskarte, vermutlich 1890); Archiv H.-D. Arntz |
Das auf dieser Homepage vorgestellte Bild von Elke Wessel befasst sich mit der Euskirchener Synagoge, zu deren Existenz einige Anmerkungen erfolgen sollen:
Dass und unter welchen Umständen die jüdische Gemeinde der Stadt Euskirchen erstmalig eine Synagoge (1835-1856) am Marktplatz institutionalisieren konnte, wurde bereits detailliert dargestellt. Besondere Gründe machten es notwendig, einige Jahrzehnte später ein größeres Gotteshaus (1856-1886) in der Annaturmstraße zu errichten. Voller Bewunderung beachteten die Juden in der Eifel und Voreifel die Initiative ihrer Glaubensbrüder, die es tatsächlich als einzige geschafft hatten, ein großes Gebäude zu errichten, das ausschließlich dem Gottesdienst und der religiösen Unterweisung der jüdischen Jugend dienen sollte.
Der große Brand vom 19. Mai 1886 – dem Buß- und Bettag - im Zentrum der Kreisstadt zerstörte auch die Synagoge. Die Thorarollen konnten unter Lebensgefahr gerettet werden. Das gesamte Mobiliar und sonstige Gegenstände verbrannten, so dass nur die nackten Mauern der Euskirchener Synagoge stehen blieben. Etwa ein halbes Jahrhundert später - am 10. November 1938 - brannte auch diese neu erbaute und am 26. August 1887 eingeweihte Synagoge nieder. Die Einweihung war gleichzeitig der Höhepunkt in der Geschichte der jüdischen Gemeinde. Die gesamte Bevölkerung nahm respektvoll an den Feierlichkeiten teil, und nie wieder konnte eine derart deutliche Integration der Juden in die Einwohnerschaft der Stadt Euskirchen festgestellt werden. Anders war das am 10. November 1938, als Hunderte von Schaulustigen den Zerstörungsaktionen und der Brandlegung beiwohnten und kaum private Gegenmaßnahmen verzeichnet werden konnten.
Synagoge und Annaturmstraße |
Um das Bild von Elke Wessel inhaltlich einzuordnen, soll die Euskirchener Synagoge, die von den Nationalsozialisten während der „Reichskristallnacht“ am 10. November 1938 in Brand gesteckt wurde, kurz beschrieben werden:
Wie bei den Synagogen von Beuel oder Brühl war der Baustil maurisch. Ein gewaltiger Kuppelbau, der mit den typischen Aufbauten etwa eine Höhe von 30 m erreichte, erhob sich in Richtung Kirchwall. Von der Annaturmstraße aus dominierten zwei mächtige Türme mit orientalischen kleinen Kuppeln, die von einer Art Balustrade verbunden waren. Überhaupt war der Eindruck - in der engen Straße, in unmittelbarer Nähe des Marktes - imposant. Ein Portal, eingerahmt von zwei verzierten Rundbogenfenstern und zwei weiteren Nebeneingängen mit kleinen Anbauten, war eine Zierde in der nun abgeschlossenen Fassade. Das eigentliche Gebäude war etwa 15 m hoch und hatte eine Tiefe von 22 m. Von einem großzügigen Untergeschoß konnte man über eine leicht gewendelte Treppe zur Empore gelangen. Insgesamt gab es für Männer und Frauen mehr als 200 Sitze. Im Jahre 1909 ließ man übrigens die westliche Treppenanlage und 1912 eine den Zeitumständen entsprechende Toilettenanlage einbauen.
Von 1887 bis zum Pogrom vom 10. November 1938 war die Synagogein der Annaturmstraße religiöses, geistiges und kulturelles Zentrum der Voreifel. Ohne dass die Eigenständigkeit der Nachbargemeinden geschmälert wurde, gab es von hier aus Impulse in Form von Vorträgen und Veranstaltungen. In Euskirchen war ein großer Schulsaal, in dem Religionslehrer Dr. Salomon Heilberg, aber auch Siegfried und Moritz Schweizer als aktive Gemeindemitglieder die jüdische Jugend unterrichteten. Zu den profilierten Gemeindemitgliedern, die für religiöse Fragen letzte Instanz bedeuteten, gehörte seit 1930 auch Rabbiner Ferdinand Bayer. In Euskirchen tagten der Zionistische Jugendverein, der soziale Frauenverein, Mitglieder der Darlehenskasse, Chewra Kadischa (Beerdigungsverein) sowie der jüdische Jugendverein.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in der gesamten Voreifel nur noch zwei große jüdische Zentren: Düren und Euskirchen. Unter Berücksichtigung der Nachbarorte Münstereifel, Zülpich, Lechenich, Rheinbach, Meckenheim, Kall, Kommern und Hellenthal kann man jedoch behaupten, dass Euskirchen mit seinem Hinterland eine besondere Stellung zukam.
Die Baupläne der Euskirchener Synagoge sowie deren Baubeschreibung sind erhalten geblieben und wurden bereits 1983 in dem Buch Judaica - Juden in der Voreifel auf den Seiten 93-108 publiziert.
3. Persönliche Ergänzungen von Elke Wessel (Interview)
Wir sind keine Euskirchener, wohnen aber nun schon recht lange hier. So habe ich mit der Martinskirche angefangen und inzwischen alle Kirchen aus dem Kernstadtgebiet gemalt. Irgendwann sagte mein Mann, dass nun nur noch die Synagoge fehle, die ja schließlich auch zu diesem Themenkreis gehört - so gesehen ein eigentlich profaner Grund. Mein Interesse war natürlich geweckt.
Weil es sich um ein jüdisches Gotteshaus handelte, wollte ich es wagen, an ein Gebäude zu erinnern, obwohl ich selber nicht mehr kennen lernen konnte. So war ich sofort als erstes im Stadtarchiv gewesen, las entsprechende Dokumentationen und fragte weiterhin überall bei älteren Euskirchenern herum, wie die Synagoge aussah. Dennoch konnte ich nicht herausfinden, ob es sich um einen Backsteinbau handelte oder ein verputztes Gebäude. Nur dass es sehr prächtig war, darin waren sich alle einig. Also machte ich mir aus dem wenigen, was ich erfahren konnte, und dem mir bekannten Bild der brennenden Synagoge eine Vorstellung von ihrem Aussehen.
Einen Hintergrund – zum Beispiel die Nachbarhäuser, denn die Synagoge stand ja in einer Häuserreihe -, plante ich bewusst nicht, weil ich ja auch deutlich machen wollte, dass sie nicht mehr Wirklichkeit ist. Das kommt auch, so hoffe ich, in der Perspektive zum Ausdruck. Nur der Gedenkstein, der jetzt an ihrer Stelle steht, ist links auf dem Bild – wie dazugehörig – zu sehen. Somit ist die Erinnerung an den Novemberpogrom 1938 und das zerstörte jüdische Gotteshaus gewährleistet.
Bei der Gestaltung der Rahmen richte ich mich in etwa an die Form, die das gestaltete Bild haben soll. Ich zeichne das Gebäude mit Bleistift vor und verlängere die darin vorkommenden Linien, so dass ich eine dem Kubismus angelehnte Konstruktion erhalte, die dann durch die Farbgebung ihren endgültigen Ausdruck erhält. Nur ganz selten gebrauche ich eine willkürliche Linie oder lasse eine des Gebäudes weg, um nicht zu unruhige Unterteilungen zu erhalten.
Ich bevorzuge Jute und eine sehr saugfähige Grundierung, weil mich die Struktur reizt, die dann bei sparsamer Verwendung der Ölfarben gut erhalten bleibt und wesentlich zum Ausdruck des Bildes beiträgt.
Während der Arbeiten zu meinem neuen Buch REICHSKRISTALLNACHT – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande (Helios-Verlag Aachen), das demnächst im Buchhandel erscheint, wurde mir eine farbige Ansichtskarte aus der Zeit 1925 zugänglich gemacht, die das reale Aussehen der Euskirchener Synagoge präzisiert.