Vor fast 100 Jahren fuhren in Euskirchen die ersten Stahlrösser – Im geschlossenen Saal wurde auf den gefährlichen Geräten geübt

von Hans-Dieter Arntz
Aus: Kölner Stadt-Anzeiger, Euskirchener Land, am 12./13. Juli 1980
16.08.2010

Radfest

 

Seit 77 Jahren quälen sich die Radprofis auf der langen Strecke der Tour de France, und auch heute noch verfolgen viele be­geistert dieses Rennen. Ähnlich wird die Begeisterung in Eus­kirchen und Umgebung bereits vor knapp hundert Jahren ge­wesen sein, als der Radfahrsport seine ersten Anhänger fand. Laut Euskirchener Zeitung vom 18. Juli 1888 hatte sich drei Tage vorher ein Euskirchener Radfahrerklub konstituiert. Trotz Wahl eines tatkräftigen Vorstandes und zünftiger Wer­bung war die Zahl der Aktiven an einer Hand abzulesen, denn die neueste technische Errun­genschaft des Hoch- und Niederrades schien vielen Eus­kirchenern zu gefährlich.

Der erfolgreichste Vertreter in unserer Stadt war ein 1870 geborener junger Mechaniker mit Namen Peter Matthias Es­ser, der einer alteingesessenen Bürgerfamilie entstammte. Er hatte bereits im Jahre 1889 bei mehreren Rennen, die damals in großer Zahl von den bestehen­den Radfahrvereinen in ungere­gelter Sportbetätigung veran­staltet wurden, Preise errungen. Das Jahr 1890 sah den zwanzig­jährigen Sportsmann auf der Höhe seiner Erfolge. Im Mai/Juni dieses Jahres konnte er in­nerhalb von vier Wochen sechsmal als Sieger heimkehren.

Inzwischen hatten sich die Vereine im Deutschen Radfah­rer-Bund zusammengeschlossen. Dessen Gau 4 (Rheinland) hatte am 13. Juli 1890 den Kampf um die Rheinische Meisterschaft ausgeschrieben. Der Euskirche­ner Peter Matthias Esser errang in Koblenz vor dem königlichen Schlosse Meisterschaft, Pokal, Medaille und nationalen Ruhm. Euskirchen besaß einen seiner ersten Sportstars!

Kein rauschender Empfang

Wenn dem Euskirchener auch kein rauschender Empfang be­reitet wurde, so verstand er es doch, mit seinen Werbungen in der Euskirchener Zeitung Kapi­tal aus seinem Sieg zu schlagen. Seine „Preisräder" waren nur bei ihm in der Vuvenstraße zu kaufen. Wer was auf sich hielt, stieg aufs Rad um. Die Auswahl wurde jährlich größer; das be­kannte Geschäft „Gebr. Mandewirth, am Rathaus" pries 1892 „Naumann'sche Fahrräder" an und ließ einem fröhlichen Mann auf einem Dreirad Zuversicht ausstrahlen. Die Firma B. Castenholz von der Kapellenstraße warb für „Fahrmaschinen". 1897 gab es „Anlern-Unterricht" für Damen und Herren im geschlos­senen Saale. Das Lehrgeld be­trug - laut Anzeige - zehn Mark „einschließlich Maschi­ne".

Die Lokal-Presse von Zülpich wusste im Juni 1890 von einem Menschenauflauf zu berichten:

 „Dichtgedrängt säumte die Menge den Markt, und über den vielen Köpfen gab es einige Menschen zu sehen, die sich in bisher unerhörter Weise auf ho­hen, ganz dünnen Rändern, mit den Beinen strampelnd, fortbe­wegten. Wer vorne stand, konnte hinter diesen `Höheren´ andere auf niedrigen `Sicherheits-Zweirädern´ fahren sehen. Sogar ältere Herren waren da­bei!"

Die Zeitung verkündete zudem, dass einige Fahrer aus dem Münstertor hinausfuhren. Dem Reporter von anno da­zumal kam es sensationell vor, dass kurz danach, „ehrsame Bür­ger, die bis vor kurzem wie an­dere Sterbliche auf Schusters Rappen ihres Weges zogen, es verstanden, schon ein zweiräd­riges Stahlross zu lenken!"

 

Radfahren

Viele Vorurteile

Der Zülpicher Gesellschaft „Erholung", die in jener Zeit ihre gemeinsamen Fahrten und Wanderungen in die benachbar­ten Wälder machte, gebührt das Verdienst, die dem Radsport besonders auf dem Lande entgegenstehenden Vorurteile tatkräftig bekämpft zu haben. Sie ließ den Arzt Dr. Bachem in einem längerem Vortrag als Mediziner zum Radsport Stellung nehme Die damals heikle Frage, ob auch „Damen" diesem Sport huldigen könnten, beantworte der Arzt vorsichtigerweise so, dass auch ihnen, soweit tunlich, das Radfahren nur anzuempfehlen sei.

„Das raum- und zeitüberwindende Veloziped" wurde in Zülpich berühmt, als im Herbst 1890 das erste Radrennen veranstaltet wurde, das in der Zülpich Zeitung als „Wettrennen auf Sicherheitsrädern"vorgestellt wurde.

Die Kreisstadt Euskirchen wollte dieser Neuerung nicht nachstehen. Am 26. Juli 1891 veranstaltete der hiesige „Radfahrer-Verein" ein großes „Radfahrerfest" auf dem Tivoli an der Kölner Straße.

Nachtrag vom 16. August 2010

Wenn auch die Chronik des Radsportvereins 1896 Euskirchen e.V. immer noch von einem falschen Gründungsdatum ausgeht, soll dennoch auf wichtige Aspekte hingewiesen werden, die sich mit dem Euskirchener Juden Karl Schneider befassen, über dessen Erlebnisse im Ghetto von Riga ich bereits publiziert habe. Vgl. meinen Beitrag bei shoa.de: Religiöses Leben der Kölner Juden im Ghetto von Riga. Karl Schneider wird in der Chronik des RSV 1896 Euskirchen für die Zeit 1927 bis 1949 erwähnt:

1927 Zusammenschluss

Die Euskirchener Vereine ERV Adler und Renn- und Sportklub 1921 schließen sich unter der Führung von Karl Schneider zu einem Verein zusammen. Fortan existiert in Euskirchen nur noch der Renn- und Sportklub 1921.

1933 Auflösung

Selbstauflösung des Vereins nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Der Vorstand kommt so dem Ausschluss seines jüdischen Vorsitzenden Karl Schneider zuvor. Einige Rennfahrer schließen sich dem RC Endspurt Gehn an, bis auch dort das Vereinsleben zum Erliegen kommt. Karl Schneider wandert in die USA aus. Mit Sympathie und finanzieller Unterstützung begleitet er nach dem Zweiten Weltkrieg die Neugründung des Vereins und die Radsportaktivitäten.

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