Vor 30 Jahren, in der Zeit vom 20. – 24. Juni 1984, fand ein für die damalige Zeit seltenes Treffen in Euskirchen statt. Der etwa 2.000 Einwohner zählende Stadtteil Flamersheim hatte seine ehemals hier beheimateten jüdischen Mitbürger eingeladen. Zum Verständnis sei auf folgende zusammenfassende Artikel hingewiesen:
Jüdische Gäste in Flamersheim: Ein Sonderbericht des Euskirchener Wochenspiegels vom 28. Juni 1984
Die Zeitschrift „Der Weg“ vom 8. Juli 1984 verfasste einen zweiseitigen Bericht unter der Überschrift: „Viele kamen mit bangem Herzen und kehrten glücklich in die Heimat zurück.“ Zum Schluss hieß es hier:
.... Höhepunkt des viertägigen Wiedersehensfestes war wohl die Nachmittagsveranstaltung im Atrium der modernen Grundschule von Flamersheim. Synagogenvorsteher Schafgans führte durch ein festliches Konzert mit kantoralen und jüdischen Gesängen. Nachdem der Euskirchener Bürgermeister Wolf Bauer den jüdischen Gästen die Wappenteller der Stadt überreicht hatte, fasste der aus Haifa stammende Sigi Oster die Eindrücke der jüdischen Gäste zusammen.
Er meinte, dass er zurückgekommen sei, um Brücken zu schlagen. Die Rückkehr sei ihm sehr schwer gefallen, aber nun kehrten seine Freunde und er glücklich in ihre Heimat zurück.
Wie schon vorher die Gebrüder Erwin und Kurt Weiss, beide Söhne des einstigen Synagogenvorstehers, hob auch Sigi Oster die Arbeit des „JUDAICA" - Autors Hans-Dieter Arntz hervor. Er zeichnete den Euskirchener Oberstudienrat mit der aus Israel mitgebrachten „Janusz-Korczak-Medaille" aus und konstatierte, dass sich der Organisator des viertägigen Festes um die christlich-jüdische und deutsch-israelische Versöhnung verdient gemacht habe.
Ergreifend war der Abschluss durch die vielköpfige Menge, als sich die Flamersheimer Zuhörer nach Ende des Konzertes spontan erhoben und jüdische Lieder anstimmten. Höhepunkt war wohl das Lied ,,Schalomalachem", bei dem sich die Teilnehmer bei den Händen nahmen, verbunden im Geist dieser einzigartigen Begegnung.
Teile der Abschlussrede von Sigi Oster, dem Nestor der Flamersheimer Juden, sollen hier noch einmal wiedergegeben werden:
Sehr geehrter Herr Bürgermeister!
Liebe Gäste,
liebe Freunde!
Wie schön wäre es, wenn das alles, was war, nicht gewesen wäre und wir in diesen Tagen nicht als Gäste hier wären. Dann würden wir als Nachbarn mit Euch leben!
Es sind nun etwa 50 Jahre vergangen, nachdem ich dieses Dorf, das ich bis dahin immer als meine Heimat betrachtet hatte, verlassen musste. Mir wurde dadurch der Weg in die Konzentrationslager und in die Vernichtung erspart.
Inzwischen habe ich eine neue Heimat gefunden, in der ich glücklich und zufrieden bin.
Aber dennoch kann man nicht vergessen, was man in seiner Jugend erlebt, erfahren, gelernt und auf sich genommen hat.
So schweiften meine Gedanken sehr oft zurück ins alte Flamersheim, wo wir wirklich mit unseren Nachbarn im besten Einvernehmen lebten.
Als Kinder spielten wir zusammen, ich feierte mit ihnen das christliche Weihnachtsfest und sie mit mir das jüdische Chanukkah. Ich glaubte, ich sei ein Deutscher wie alle und nur meine Religion sei eine andere.
Aber dann kam 1933 alles anders!!!
Man kann und soll nicht vergessen, sondern immer wieder darüber berichten, damit ein solches Unglück nicht wieder geschehen kann.
Als ich mich heute morgen entschloss, diese wenigen Gedanken schriftlich zusammenzufassen, da merkte ich erst, wie schwer es ist und auch wahrscheinlich bleiben wird, die Eindrücke der letzten Tage zu verarbeiten. Ich bin recht zurückhaltend gewesen, als ich in Flamersheim eintraf. Aber die spontane Herzlichkeit meiner Gastgeber, die erschütternde Bereitschaft aller - und wirklich aller Flamersheimer - sowie ihre Aktivität, uns die schwere Heimkehr zu erleichtern-, haben meine Freunde und mich sehr bewegt.
Ihr Motto "WIR IN FLAMERSHEIM" wurde immer spürbar: in Ihrer Festschrift, bei den vielen Veranstaltungen in den Ansprachen und ganz besonders in den spontanen Begegnungen, die in dieser Form nicht organisiert sein konnten.
Wir Flamersheimer Juden kamen hierher, um derer zu gedenken, die den schweren Weg gehen mussten. Wir kamen nicht hierher, um anzuklagen. Nein, WIR waren auch bereit, einen neuen Weg der Verständigung zu suchen, wenn wir allerdings auch nicht das Schreckliche vergessen können.
Mir liegt daran - das will ich hiermit ganz deutlich ausdrücken -, dass durch unser Wiedersehen in der ehemaligen Heimat wieder Brücken geschlagen werden, die es viele Jahre nicht gegeben hat.
Mein Vorschlag wäre - mit unserer und besonders meiner Hilfe -, eine Partnerschaft mit einem Ort in Israel zu schließen. Dieser Ort sollte etwa so groß sein wie das Dorf Flamersheim. Ein ständiger Jugendaustausch und regelmäßige Besuche sollten möglich werden, zumal auch viele Flamersheimer schon in Israel waren, wie auch wir ehemaligen Flamersheimer schon gelegentlich in Deutschland.
Aber jetzt soll jeder wissen, wohin er immer gehen kann.
Ich weiß und spüre es, dass es nicht bei diesem einmaligen Treffen in Flamersheim - jetzt im Juni 1984 - bleiben darf!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Man kann nicht all denen danken, die uns in unserer Heimat unvergessliche Stunden bereitet haben. Die Zahl wäre zu groß. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich meine Eindrücke überall weitergeben werde. Meine Bekannten werden es wieder weitergeben und erzählen, was heute in einem kleinen Dorf in Deutschland möglich ist.
Abschließend möchte ich mich zu einer Tatsache äußern, die dieses Treffen in Flamersheim möglich machte.
Ohne die Arbeit des Oberstudienrates Hans-Dieter Arntz wären wir in diesem Rahmen wahrscheinlich nie in unsere alte Heimat zurückgekehrt. Dem Verfasser des Buches "JUDAICA" gebührt deswegen unser Dank, weil er - meiner Ansicht nach - ein Werk geschaffen hat, das erstmals das Thema "JUDEN AUF DEM LANDE" behandelte und vielen in dieser Hinsicht die Augen geöffnet hat.
Die Begleitumstände, die mit der Herausgabe des Buches verbunden waren und auch in der internationalen Presse ihren Widerhall fanden, hatten uns kurz verunsichert. Was ist denn in unserer alten Heimat wieder los?
Vor allen hier sitzenden Gästen, vor der Presse und den Vertretern der Gemeinden möchte ich meine persönliche Ansicht und die meiner nächsten Freunde - ganz deutlich - formulieren. Wir sind der Ansicht, dass sich unser lieber Freund, Hans-Dieter Arntz, in besonderem Maße der christlich-jüdischen oder deutsch-israelischen Wiedergutmachung verdient gemacht hat.
Es mag Sache der Euskirchener sein, hierfür eine offizielle Würdigung zu finden. Aber meine Freunde und ich, lieber Herr Arntz, haben Ihnen eine Anerkennung aus Israel mitgebracht, die Ihr pädagogisches Engagement belohnen, aber Sie selber auch gleichzeitig für die Zukunft motivieren soll....
Festliches Konzert mit Kantor Viktor Vida, Gisela Berg, Laslo Kovori und Daniel Friedmann. Programmleitung: |
v.l.n.r. Bürgermeister Wolf Bauer, jüdischer Gast Sigi Oster, Hans-Dieter Arntz |