Über Grabsteine zurück zu den Wurzeln jüdischer Familiengeschichte:
Die Verdienste von Dieter Peters

von Hans-Dieter Arntz
20.09.2008

Wenn Daten von Grabsteinen auf jüdischen Friedhöfen erfasst werden, treten oft Schwierigkei-ten auf, weil die deutschen oder hebräischen Inschriften häufig beschädigt oder verwittert sind. Nicht nur das Alter der Epitaphe oder klimatische Einflüsse, sondern auch systematische Zerstö-rungen in der Zeit des rassistischen Nationalsozialismus sind als Gründe anzuführen. Zudem sind nur wenige Historiker in der Lage, die hebräischen Inschriften zu entziffern.

 

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Jüdischer Friedhof von Bleibuir (Foto H.-D. Arntz)
 
H.R. [Hier ruht]
Andreas Simon
Hier ruht
ein aufrechter, rechtschaffener Mann.
Er war g“ttesfürchtig, mied das Böse und tat Gutes:
der ehrenwerte Isaak S.d. David
Gemeindevorsteher im Dorf Bleibuir
starb in gutem Leumund
am 5. Wochentag, dem 2. des Trostmonats Av
und wurde begraben am 6. Wochentag,
dem Vortag des Heiligen Schabbat,
dem 3. desselben 634 n.d.kl.ZR
TNZBH
(= 16.07.1874)

Jüdische Friedhöfe in Gemünd und Schleiden (1983/1994)

Umso höher ist es zu bewerten, wenn sich Personen der mühseligen Arbeit unterziehen, ehrenamtlich alle noch erfassbaren Daten von jüdischen Grabsteinen zusammenzutragen und diese in Zeitungsartikeln, Büchern oder Internet-Beiträgen den Genealogen und Heimatforschern zugänglich machen. Eine derartige Forschungsarbeit ist auch ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der jüngsten deutschen Geschichte, denn besonders jüdische Friedhöfe erinnern an die Existenz unserer einstigen Mitbürger, deren Mobilität und lokale Präferenzen, an deren Integration in das jeweilige Gemeindewesen und auch an die meist weit gefächerten Familienstrukturen. Sogar eine Bestandsaufnahme der jeweiligen Familien- und sogar der Gemeindegeschichte ist gelegentlich möglich. Die notwendige Pflege der oft einsam gelegenen jüdischen Friedhöfe und die Entzifferung der alten Inschriften ist eine spezielle Form der Erinnerungskultur. Dieser dankenswerten Arbeit unterzieht sich Dieter Peters aus Aachen.

Ich kannte diesen Spezialisten für Grabinschriften noch nicht, als ich im Jahre 1983 Bedenken gegen Umbettungen auf dem Gemünder Friedhof anmeldete. Die Schleidener Lokalausgabe der Kölnischen Rundschau vom 19. November 1983 berichtete damals über den jüdischen Neubürger Jan Avrohom – Schwiegersohn des bekannten jüdischen Gastwirts Abraham Meyer aus Euskirchen –, der das Vernichtungslager Auschwitz überlebt hatte und seitdem besonders intensiv auf die Einhaltung jüdischer Riten und Bräuche Wert legte. Für ihn war das Unversehrtheitsgebot für jüdische Gräber ein krasser Gegensatz zu den Plänen der Schleidener Stadtverwaltung, die die zügige Erschließung des Gewerbegebietes „Am Kreuzberg“, jenseits der Bahngleise in Richtung Mauel, vorbereitete. Der Bebauungsplan war genehmigt, und fünf Gewerbe-Aussiedler aus Gemünd standen bereits fest.

Einen 15 Meter breiten Streifen vom jüdischen Friedhof – Gemünd hatte bis 1938 eine Synagoge in der Mühlenstraße – abzuschneiden, stellte nun ein besonderes Problem dar. Die Stadt korrespondierte schon jahrelang mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland, mit Sitz in Düsseldorf. Der damalige Redakteur Jürgen Gräper konstatierte, dass hier die jüdischen Verantwortlichen einer Umbettung von Gräbern innerhalb des Friedhofs ein, „sofern dies nicht mit einem Bagger, sondern pietätvoll mit Schaufeln in Anwesenheit eines Rabbiners vollzogen werde. Die jüdischen Vertreter anerkannten dabei das öffentliche Interesse an der Erschließung des Gewerbegebietes.“

Ich selber war bei den Umbettungen auch anwesend und versuchte, die hebräischen Epitaphe zu entziffern. Das gelang mir selber überhaupt nicht. Heute würde ich die Aufstellung und Übersetzung des Aacheners Dieter Peters heranziehen, der seit 1994 als freier Mitarbeiter im Sinne eines Friedhofsbeauftragten des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein tätig ist. In diesem Zusammenhang wacht er auch über Zustand und Pflege der Begräbnisstätten und sammelt zudem Nachrichten über Friedhofsschändungen im gesamten Bundesgebiet. Sein Engagement konzentriert sich gegenwärtig im Rahmen des Denkmalförderungsprogramms vorwiegend auf Nordrhein-Westfalen.

Im Sommer 1994 kontaktierte mich Dieter Peters im Zusammenhang mit seiner Beschwerde bei der Stadt Schleiden und dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein, der zufolge es sich bei dem Friedhof „Am Ruppenberg“ „um einen der ungepflegtesten Friedhöfe (…)“ handelte. Damals war schon von ihm eine detaillierte Bestandsaufnahme der Schleidener Grabsteine erstellt worden, so dass ich schon 1990 bei der Erstellung meines Buches Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischen Grenzgebiet auf deren Inhalt  zurückgreifen konnte. Seitdem besteht ein lockerer Kontakt, der es mir ermöglicht, die Übersetzung jüdischer Epitaphe abzurufen.

Arbeit für das Zentralarchiv zur Erforschung der Juden in Deutschland

Neben seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit in verschiedenen Betriebs- und Verwaltungsabteilungen bei der Deutschen Post AG in Aachen und Frechen erforscht Dieter Peters seit  Ende der 80er Jahre jüdische Friedhöfe.Das Zentralarchiv zur Erforschung der Juden in Deutschland besitzt eine wertvolle Friedhofsdokumentation und gibt auch über die bereits längjährige Arbeit von Dieter Peters Auskunft:

Für seine genealogisch ausgerichteten Recherchen nutzte Peters zunächst sowohl archivarische Quellen wie Bestandsaufnahmen von jüdischen Friedhöfen von Klaus H. S. Schulte, die dieser seit den 70er Jahren vor Ort durchgeführt hatte. Während bei Schulte Grabsteine, Sockel und auch Reste ohne Inschriften nur erwähnt werden, konnte Peters durch seine erweiterte archivarische Forschung Namenslisten und Lebensdaten ergänzen und mit seiner Veröffentlichung Peters 1993 eine breite Grundlage schaffen. Da sich diese Publikation auf die ehemalige Rheinprovinz und die niederländische Provinz Limburg bezieht, finden hier Orte Erwähnung, die heute auf dem Gebiet der Niederlande sowie in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz liegen. (Bei der Namensgebung der Friedhöfe orientiert sich Peters an den heute gebräuchlichen Ortsnamen, wobei er für die Ortsbezeichnungen das Postleitzahlenverzeichnis von 1993 zugrunde legt.)

In der Fortsetzung seiner intensiven Beschäftigung mit der Geschichte jüdischer Friedhöfe im angegebenen Gebiet (sowie vereinzelt darüber hinaus) veröffentlichte Dieter Peters weitere Forschungsergebnisse sowohl in Zeitschriften wie auch im Selbstverlag. Seit 1994 ist Herr Peters als freier Mitarbeiter im Sinne eines Friedhofsbeauftragten des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein tätig, wobei er auch über Zustand und Pflege der Begräbnisstätten wacht und Nachrichten über Friedhofsschändungen im gesamten Bundesgebiet sammelt. Sein Engagement konzentriert sich gegenwärtig im Rahmen des Denkmalförderungsprogramms vorwiegend auf Nordrhein-Westfalen.

Mitte der 90er Jahre hat Dieter Peters mit dem Aufbau einer umfangreichen Fotosammlung begonnen. Im Jahr 2001 befanden sich dort bereits ca. 5000 Aufnahmen, bis Mai 2006 kamen dann noch weitere 16 000 digitale Fotos hinzu, die überwiegend von Friedhöfen in Nordrhein-Westfalen stammen. Im März 2001 stellte Peters dem Zentralarchiv eine Aufstellung der von ihm gefertigten Fotos von jüdischen Friedhöfen und Grabsteinen zur Verfügung. Auf dieses umfangreiche Fotoarchiv wird bei den jeweiligen Friedhöfen in zusammengefasster Form mit Stand vom 23.3.2001 hingewiesen, d.h. es wird nicht unterschieden zwischen Grabsteinfotos und Friedhofsansichten. Die von Peters dokumentierten Friedhöfe liegen vor allem in Nordrhein-Westfalen, aber auch jüdische Friedhöfe aus anderen Bundesländern sind vertreten.

Peters, ein ebenso akribischer wie zurückhaltender  Forscher („ich bin nur ein Amateur“), hat allein für seine ersten Recherchen im Rheinland mehr als zwei Jahre gebraucht. Wochenende für Wochenende verbrachte er  bereits Anfang der 1990er Jahre auf jüdischen Friedhöfen, die im Rhein­land dort geschlossen sind, wo sich kei­ne aktiven jüdischen Gemeinden  um die Grabstätten kümmern kön­nen. Mit Hilfe von selbst gefertigten Lageskizzen, mit Diktiergerät und Kamera bewehrt, versuchte er Grabinschriften zu entziffern, Querverbindungen zwischen jüdischen Familien zu ermitteln.

Christliche Familiengeschichte(n) sind schon deswegen leichter zu entfalten, weil die Kirchengemeinden seit dem 16. Jahrhundert Daten über Geburten, Eheschließungen und Tod ihrer Gemeindemitglieder aufzeich­nen. Derlei standesamtliche Auf­zeichnungen waren und sind in jüdi­schen Gemeinden so nicht üblich. So kommt es, dass den jüdischen Grabinschriften, die Peters auch im Rhein­land und in angrenzenden holländi­schen Regionen „kartiert“ hat, eine große Bedeutung für die Erfor­schung jüdischer Familiengeschichte zukommt. Traditionell geben die Grabinschriften auch Auskunft über die Ahnen und Abkömmlinge des Verstorbenen, bisweilen auch über die Familie des Ehegatten.

Seit es sich in Familienkundler-Kreisen herumgesprochen hat, erreichen Peters jeden Tag Anfragen aus ganz Europa - darunter sind viele jüdi­sche Bürger auf der Suche nach ih­ren Wurzeln. Aber auch „klassische“ Judaisten und Historiker bitten um fachliche Mithilfe. Alle Bitten, seine Recherchen auf den gesamten deutschen Sprachraum auszudehnen, weist er einst­weilen zurück. „Dann müsste ich mei­nen Beruf aufgeben“, meint er,  dem (nicht nur) rheinische Heimat­kundler und  Historiker viel zu verdanken haben.

Das Friedhofsprojekt von Dieter Peters

Seit vielen Jahren arbeitet er in seiner Freizeit an der Erfassung und Erforschung von jüdischen Friedhöfen und Grabinschriften in Deutschland.

Sein Privatarchiv umfasst zurzeit 80.000 Namen und Lebensdaten von mehr als 800 Friedhöfen, 10.000 Fotos von Grabsteinen und Friedhöfen, 7.500 Literaturhinweise. Weitere Informationen sind auf der Internetseite des Zentralarchivs zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland unter „Projekte in NRW“ zu finden.

 

 

acrobat Veröffentlichungen von Dieter Peters

acrobat Ein Beispiel: Der jüdische Friedhof von Bleibuir/bei Mechernich

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