Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches wurde Bibliotheksdirektor Dr. Leo Schwe-ring, später Landtagsabgeordneter für die Kreise Schieiden und Monschau (»Grenzlandvater«), in die teilweise zerstörte Villa des ehemaligen Gauleiters Josef Grohe einquartiert. Hier fand der interessierte Wissenschaftler ein Heft, das nur noch in wenigen Exemplaren erhalten geblieben ist; es war als »vertraulich« deklariert und nicht für den freien Verkauf gedacht. Dabei handelte es sich um den ersten schriftlichen Extrakt, den Dr. Robert Ley über die Methodik und Didaktik der drei nationalsozialistischen Ordensburgen Crössinsee (Pommern), Sonthofen (Allgäu) und Vogelsang (Eitel) unter der Überschrift »Der Weg zur Ordensburg« verfaßt hatte.(1) Heute – mehr als 50 Jahre nach der Einweihung der drei Ordensburgen der NSDAP und der manchmal notwendigen Distanz zur jüngsten Vergangenheit – liegt erstmals ein Werk vor, das als Beitrag zur Gesamtthematik »Erziehung zur politischen Führung im Dritten Reich« gelten kann und sich exemplarisch mit der ehemaligen Ordensburg Vogelsang befaßt. (2)
Deutlich wird belegt, daß Ordensburgen keineswegs »Zuchtstätten« einer germanischen Herrenrasse und auch nicht eine Niederlassung des berüchtigten »Lebensborn« waren, wie es heute noch viele Deutsche wissen wollen, sondern Ausbildungsanstalten für künftige Führungskräfte der NSDAP. Die Auslese und Heranbildung der nationalsozialistischen »Führeranwärter« war jedoch so elitär und auf die Verwaltung deutscher Diktatur ausgerichtet, daß sie selbst in der Zeit des sogenannten Dritten Reiches sagenumwoben blieb. In Crössinsee wurden die Anwärter charakterlich ausgerichtet. Sonthofen bildete sie in Verwaltungs-, politischen, diplomatischen und Militäraufgaben aus. Die im damaligen Kreis Schieiden gelegene Ordensburg Vogelsang, hoch über der Urfttalsperre, verbreitete die rassistische Philosophie der neuen Ordnung. Da die Ordensburg Vogelsang nur von 1936 bis 1939 »Junker« ausbildete, kann die potentielle Auswirkung der »härtesten Schule der Welt« nur erahnt werden. Bekannt sind die militärischen Leistungen der 1939 zur Wehrmacht eingezogenen Männer, die mit Begeisterung und Fanatismus in den Zweiten Weltkrieg gezogen waren. Nicht genügend bekannt wurde das Engagement einzelner im politischen Bereich: Mancher ehemaliger »Junker« wurde als Gebietskommissar im Osten eingesetzt. Auch die Lehrkräfte – besonders im Fach »Rassenkunde« – fanden gelegentlich hinter der Front ein Einsatzgebiet, in dem sie einst gelehrte Theorie praktizieren konnten. Ab 1940 war z. B. Bereitschaftsführer Dr. Werner Schw. im Westen im Sinne des nationalsozialistischen Terrors tätig. Er, der auf der Ordensburg Vogelsang über die Behandlung religiöser, politischer und rassischer Minderheiten doziert hatte, wurde sogar Leiter des kleinen Konzentrationslagers Ommen bei Zwolle in der niederländischen Provinz Overijssel. Am 8. März 1934 wurden die Leser des »Westdeutschen Beobachters« durch die Schleide-ner und Dürener Lokalausgabe darüber informiert, daß für das seit langem schwebende Projekt, »ein großes Schulungslager der NSDAP« zu errichten, die Entscheidung gefallen sei. Im Wettstreit mit den »herrlichsten Landschaften, mit Schwarzwald, Harz und den schlesischen Gebirgen obsiegte die Eifel: Das Schulungslager kommt an den Urftsee, unweit des Städtchens Gemünd«.(3) Im gleichen Artikel wurden Reichsinspekteur Rudolf Schmeer und der Schleidener Kreisleiter Franz Binz genannt, die Gauleiter Grohe und Reichsschulungsleiter Gohdes von den Präferenzen der Landschaft und der bautechnischen Lage überzeugen konnten. Über die Aufgaben der »Schulungsstätte« hatte man im März noch unklare Vorstellungen, wenn auch mit Prof. Clemens Klotz und dem örtlichen Baumeister, Karl-Friedrich Liebermann, zwei prominente Kölner Architekten gewonnen worden waren. Reichsorganisationsleiter Dr. Robert Ley, dem die künftigen »Lager« unterstanden, wollte in 14tägigen Kursen NS-Parteiredner zu einem »gewaltigen Erlebnis« führen. Seiner Ansicht nach hätten diese zwei Wochen in der Eifel genügt, um »die Persönlichkeit des Führers, die kameradschaftliche Gemeinschaft und eine unberührte, urwüchsige Natur und Landschaft zu vermitteln«.
Es sei festgestellt: Es bestand am 8. März 1934 – wenige Tage vor dem ersten Spatenstich – weder ein genauer Plan für eine »Ordensburg« noch für eine langjährige elitäre Ausbildung des Führernachwuchses. Kurse sollten Wir-Gefühle vermitteln: romantisches Naturerleben und das seelische Erlebnis waren entscheidend. Für die später mythisch-verbrämte Burg stand den Initiatoren des Projektes nur die Terminologie der Kampfzeit während der Weimarer Republik zur Verfügung: »Schulungslager . ..«
Bald danach jedoch wurde aus dem »Schulungslager« die »Ordensburg«, aus den schon anfangs häufig erwähnten »fanatischen Soldaten« elitebewußte »Junker«.
Heute mutet das Vokabular des Reporters, der am 8. März 1934 dem Leser schwärmerisch die Landschaft um die künftige Baustelle herum schilderte, fast wie Werbung für neuzeitlichen Tourismus und Naherholungsaktivitäten an: »Nicht trefflicher konnte die Wahl des Ortes sein. Man muß Natur und Landschaft am Urftsee kennen und erlebt haben, um zu verstehen . . . Wohl kaum eine Landschaft kann so wie die Eifel in ihrer herben Schönheit und weltentfernten Einsamkeit Vermittlerin zu den Ewigkeitswerten deutscher Erde und Landschaft und unseres Volkstums sein. Und hier am Urftsee sind alle Schönheiten und Ursprünglichkeiten der Eifel zusammengefaßt: die weiten, schweigenden Wälder, wo noch der königliche Hirsch und der wehrhafte Keiler ihre Fährte ziehen, die Hänge, die im Sommer im Eifelgold des Ginsters leuchten, das kristallklare Wasser des Urftsees, das sein ewiges Lied rauscht, der Winter, der sich hier noch in seiner Urgewalt und grandiosen Schönheit offenbart. Hier rauschen Wald und Berg und See zu einer gewaltigen Sinfonie empor. Hier zwingt alles den Menschen zu innerer Einkehr, zur Beschaulichkeit und Weihe .. .« Schon immer gehörte die Eifel zu den ärmsten Landschaften des Deutschen Reiches. Sie galt als das »Sibirien Deutschlands«, als karg und unwirtschaftlich. So war es nicht verwunderlich, daß die Baumaßnahmen der Deutschen Arbeitsfront unter Leitung von Robert Ley einen wirtschaftlichen Aufschwung für die Arbeiterund Unternehmerschaft aus dem Bereich Schleiden-Gemünd-Heimbach-Monschau bedeuteten. Steinbrüche in Monschau und Umgebung bekamen bedeutende Aufträge, Straßen wurden gebaut, zusätzlicher Wohnraum für Arbeitskräfte und Baumeister wurde geschaffen. Dieser wirtschaftliche Aufschwung, das überdimensionierte Parteibauwerk, das allgemeine Interesse der Presse an Vogelsang: das alles diente aber auch dem nach Prestige heischenden Selbstverständnis der Nationalsozialisten. Erst ab 1934 konnte die NSDAP in diesem Eifelgebiet festen Fuß fassen. Auch der nun wachsende Fremdenverkehr und der Arbeitseinsatz von mehr als tausend Handwerkern bewirkte u. a., daß Kreisleiter Franz Binz 1935 Adolf Hitler die Meldung machen konnte, daß »dieser Kreis als erster im ganzen Deutschen Reich frei von Arbeitslosen« sei.
Die Chronik der Bauarbeiten ist kurz und erfolgreich. Der erste Spatenstich war am 15. März, die Grundsteinlegung am 22. September 1934. Schon am 15. Dezember des gleichen Jahres konnte das Richtfest gefeiert werden. Am 24. April 1936 übergab Adolf Hitler die drei Ordensburgen Crössinsee, Sonthofen und Vogelsang ihrer Bestimmung, obwohl die Bauten keineswegs völlig fertiggestellt worden waren. Jedoch hatte man auf Vogelsähg die wichtigsten Gebäude, die man für den Schulungsbetrieb brauchte, in Rekordzeit erstellt.
Schon am 1. Mai 1936 zogen die ersten »Junker« auf Vogelsang ein. Vorbei an den Posten der SS, die das Wachpersonal stellte, vorbei an Wirtschafts- und Verwaltungsgebäuden, fuhren sie über eine breite Betonstraße zum Mittelpunkt der riesigen Anlage, einem großen Aufmarschplatz, in dessen Nähe das sogenannte »Haus des Wissens« errichtet werden sollte.
300 m lang, 200 m breit, mit einem riesigen Turm, sollte dieses »Haus des Wissens« mit Forschungsinstituten für Historiker, Rassen-und Vererbungsfachleute und Geographen sowie einem 2 000 Personen fassenden Hörsaal das Prunkstück von Vogelsang werden. Es wurde jedoch nur in Plänen und vielen Entwürfen fertig. Die Gesamtbauzeit für Vogelsang wurde schon damals auf mindestens zehn Jahre geschätzt bei einer Bausumme von über 250 Millionen Reichsmark.
Wenn sich auch NSDAP und die Deutsche Arbeitsfront immer rühmten, daß jährlich etwa 500 Männer »aus allen Schichten« nach Vogelsang kämen, so kann heute nach wissenschaftlicher Analyse der erhalten gebliebenen Personalakten konstatiert werden, daß die meisten aus der unteren Mittelschicht kamen, meist Volksschulbildung und eine Lehre absolviert hatten. Über den Parteidienst und tatsächlich nur gute Beziehungen gelang es wenigen, vom Gauleiter dem Reichsorganisationsleiter der NSDAP gemeldet zu werden. Robert Ley nahm dann selber mit einem Stab die »Ausmusterung« vor, so daß in der Eifel von 1936 bis 1939 etwa 1 500 »Führeranwärter« ausgebildet werden konnten. Hauptfächer waren Rassenkunde, Kunst und Kultur, Außenpolitik, Auslandspolitik und Erdkunde, Geschichte, Philosophie und Weltanschauung, Wirtschaftsund Sozialpolitik, Politik des Deutschen Reiches. Nach je einem Jahr sollten die »Junker«, wie sie stets von der Bevölkerung und ab 1938 auch gelegentlich vom Reichsorganisationsleiter genannt wurden, die Burg wechseln. Für besonders begabte Anwärter war noch die Marienburg in Ostpreußen vorgesehen, deren Neubauten jedoch nicht mehr funktionsgerecht verwandt werden konnten. Die Lehrkräfte setzten sich aus Stamm- und Gastlehrern zusammen. Die Didaktik resultierte aus der Politik des Dritten Reiches und basierte – besonders auf Burg Vogelsang – auf Antisemitismus und Anti-Christentum.(4) Schon in den ersten Monaten nach Aufnahme des Lehrbetriebs waren mehr als 600 »Führeranwärter« und Mitglieder des Personals aus der Kirche ausgetreten bzw. als »gottgläubig« um-funktionalisiert.(5)
Nationalsozialistische »Eheweihen« – vom Volksmund als »braune Hochzeiten« umschrieben – fanden im Hörsaal der Burg statt. In Anwesenheit von etwa 500 Junkernjjnd Burgangestellten, bei Fackelschein und germanischen Kultimitationen fanden die Trauungen statt, bei denen ab 1938 von der Braut nicht mehr der »jüdisch-orientalische« Schleier getragen werden durfte.
Dennoch konnte der Nationalsozialismus nicht alles verändern. Selbst Kommandant Mander-bach, der seine »Junker« vom Kirchenbesuch stets abzuhalten bemüht war, geriet in die Konflikte zwischen Christentum und neuer Weltanschauung. Als er 1939 heimlich sein Kind taufen ließ, sickerte dies schnell durch. Rauhe Männerchöre grölten seitdem durch den großen Speisesaal von Vogelsan^ und fragten singend, was ihr Kommandant mit »Papst und Pfaff gemein« habe. Am 11. Juni 1939 wurde er von dem vom Nationalsozialismus durchdrungenen Reichsredner und Lehrer für Rassenkunde, Hans Dietel, ersetzt. Fast völlig unbekannt blieb das französischsprachige belgische Drama »Vogelsang«(6), in dem Paul Dresse symbolhaft die Auseinandersetzung zwischen national-sozialistischer Weltanschauung und Christentum darstellt. Personifiziert stehen sich der Abt des nahen Klosters Mariawald und der Kommandant der benachbarten Ordensburg gegenüber. Im Feuerschein und Hagel der Granaten, vor der Silhouette der Eifelberge und dem Spiegel des beim Mondschein glänzenden Urftsees geht das Dritte Reich zu Ende, und das Reich der christlichen Kirche erhebt sich neu aus der Asche der Trümmer der Burg . . .
Fast kampflos fiel Vogelsang am 4. Februar 1945 den Amerikanern in die Hände. Lakonisch überschrieb die amerikanische Zeitung »Time« den Sieg: »No superman strutted in Burg Vogelsang« (Kein Supermann stolzierte in Burg Vogelsang herum!). Allerdings hatte schon bei der Grundsteinlegung »Burgkommandant« Kreisleiter Binz erklärt, hier werde entgegen ausländischer Behauptung keine »Festung« im herkömmlichen Sinne gebaut, dafür läge Vogelsang, »für den einfachsten Soldaten klar erkennbar«, viel zu sehr auf dem »Präsentierteller«.(7) Bis heute bleibt es bei Mutmaßungen, welchen tatsächlichen Stellenwert die »Junker-Ausbildung« hatte. Dadurch, daß fast alle »Führeranwärter« zur Wehrmacht eingezogen wurden, verliert sich ihr Schicksal in den Kämpfen des 2. Weltkrieges. Dennoch gibt es Unterlagen über den jeweiligen Lebenslauf. Auch die Formierung ehemaliger »Junker« in der Kameradschaft »Alteburger«, die sich jährlich in einer kleinen rheinischen Stadt – mit Damen – trifft, beweist, daß einst geknüpfte Freundschaften ein ganzes Leben lang dauern. Schon 1939 gab es eine Studie des Gauschulungsleiters Kölker,(8) der die praktizierte Ausbildung auf Vogelsang in Frage stellte. Die intellektuelle Ausbildung wäre zu gering, die körperliche Traktierung zu einseitig. Viele Junker hätten aufgrund ihrer rassischen und körperlichen Präferenz einen »Höhenfimmel« und meinten, ihre Karriere sofort mit dem Posten eines Kreisleiters beginnen zu können. Wenn auch heute Vogelsang ein belgisches Übungscamp – auch für NATO-Truppen – ist, so spricht man doch weiterhin von der »Burg«. Stimmen mehren sich neuerdings, die aus der ehemaligen Ordensburg und den fast völlig erhaltenen, überdimensionierten Anlagen ein Mahnmal mit Museum und Begegnungsstätten wünschen(9) Tatsächlich ist das Burggelände in der Eifel eines der wenigen erhalten gebliebenen Gebäude großdeutscher Architektur, das auf Schritt und Tritt an den Größenwahn des Deutschen Reiches erinnert.
Anmerkungen:
1 Arntz, H.-Dieter: Wo der Nachwuchs geschult wurde: Ordensburg Vogelsang. In: Eifeljahrbuch 1982, S. 56-60
2 Arntz, H.-Dieter: Ordensburg Vogelsang 1934-1945. Erziehung zur politischen Führung im Dritten Reich (260 Seiten und 250 Fotos und Dokumente). Kumpel-Verlag, Euskirchen 1986 – Besprechung siehe Jahrbuch »Das Monschauer Land 1987«, Seite 193
3 »Westdeutscher Beobachter«, Lokalausgabe Schieiden, v. 8. 3. 1934
4 Vergl. Anm. 2, S. 102-114 und S. 152-161
5 Pfarrer Scheler, H.: Was geschah in der Kirchengemeinde Gemünd unter dem Nationalsozialismus? (Auszüge aus einem zur Verfügung gestellten Manuskript, 1986, S. 6/7)
6 Dresse, Paul: Vogelsang. Ein Drama in 4 Akten in französischer Sprache. Lecran du monde. Brüssel 1951
7 «Die Eifek Oktober 1934, Seite 137, Bericht Hoffmann
8 Kölker-Bericht: Bundesarchiv Koblenz, Kanzlei Rosenberg, NS 8/231, fol. 1-105, S. 29-37. Vergl. auch Anm.2, S. 180-191
9 Siehe dazu auch die Neuerscheinung, die ausführlich das Für und Wider einer Stellung der »Burg« unter Denkmalschutz behandelt (Besprechung in diesem Jahrbuch S. 177)
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NS-Ordensburg Vogelsang: Irritationen um Aufarbeitung der Geschichte (vom 29.11.2006) | |
Mediale Verwirrung um den Täterort | |
Shoa.de: Ordensburg Vogelsang 1934-1945 |