Die Kuchenheimer Judengemeinde

von Hans-Dieter Arntz

Quelle:  Die Kuchenheimer Judengemeinde. In: Cuchenheim 1084-1984. Bd. 2 (Naturwissenschaftliche und Historische Beiträge). Veröffentlichung des Vereins der Geschichts- und Heimatfreunde des Kreises Euskirchen e.V., A-Reihe, Bd. 14.2, 1984, S. 415–432.
20.08.2006

Das Vorgestern in der Geschichte der Kuchenheimer Juden beginnt sicher nicht mit der ersten urkundlichen Erwähnung und dem Nachweis, daß sie zu einer bestimmten Zeit irgendwo historisch wichtige Spuren hinterlassen haben.

Vielmehr ist es so, daß eine politisch motivierte Mobilität die Juden zwang, auch durch Landstriche zu wandern, die sie als Wohnstätten nie bevorzugt hätten. So kann vermutet werden, daß die rauhe Eifel und die abseits von den urbanen Zentren gelegene Voreifel oft Zufluchtsort verfolgter Juden wurden.

Die vor den aufsteigenden Bergen der Voreifel am Rhein gelegene Stadt Köln ist unter allen deutschen Städten nicht nur die älteste urkundlich gesicherte Niederlassung, sondern mit Worms auch der ergiebigste Boden für die Geschichte der Juden in Deutschland. Die CCAA (Colonia Claudia Ara Agrippinensis) bot auch jüdischen Kaufleuten, die schon im römischen Reich minderer Rechtsstellung waren, gute Verdienstmöglichkeit. Erstmals einbezogen in die Stadtverwaltung, mußten sie sich im 4. Jahrhundert n. Chr. auch an den umfangreichen Kosten für die Unterhaltung der Stadt Köln während der unruhigen Spätantike mit den zahlreichen Frankeneinfällen beteiligen. Vermutlich überlebten zumindest Teile dieser Kölner Judengemeinde in der Stadt bis in das Mittelalter. Weitere Juden kamen im Gefolge der merowingischen und karolingischen Könige und Adeligen (6.-10. Jahrhundert) in den Norden, da sie als Unfreie häufig an ihren Hof gebunden waren. So dürften erstmals in dieser Zeit Juden im Königsgutsbezirk Flamersheimer Wald und den beiden Verwaltungszentren Flamersheim und Kuchenheim aufgetaucht sein. So bezeugt vielleicht ein kleines Gräberfeld aus dieser Zeit im Gäßchen in Kuchenheim, abseits der Kirchen St. Lambertus und St. Nikolaus, eine nichtchristliche (am ehesten wohl jüdische) Volksgruppe in Kuchenheim.

In größerer Zahl kamen Juden erst auf der Flucht vor Pogromen aus den gefährdeten Stadtquartieren etwa in Köln und Bonn in die Voreifel und Eifel. Es gab eine Reihe von Gründen, warum gerade im Fieber zu Beginn der Kreuzzüge eine systematische Verfolgung der Juden begann. Das Versprechen, wer einen Nicht-Christen erschlage, dem würden die weltlichen - und auch ein Teil der himmlischen - Schulden erlassen, mobilisierte 1096 die durch Wirtschaftskrisen verarmte Landbevölkerung. Widersinnige Beschuldigungen, daß die Juden die Verbreiter des Aussatzes wären, Christenkinder zu religiösen Zwecken schlachteten, geweihte Hostien durchbohrten und verbrannten und sich ihren Besitz gestohlen hätten, fanatisierten die Massen. Die nun einsetzenden Judenverfolgungen waren dem rohen Pöbel, der durch blinden Religionshaß aufgestachelt werden konnte, die willkommene Gelegenheit, ungehindert morden, plündern und rauben zu können.

Die Behauptung, daß die heiligen Stätten in Palästina auf Anordnung der Juden geschändet würden, sowie das Argument: „Die Juden haben unseren Heiland gekreuzigt! Sie müssen sich jetzt entweder zu ihm bekehren oder sterben!" waren ein weiteres Motiv, die Juden als religiöse Minderheit zu diskriminieren. Als Folge eines andauernden Regens in der Zeit vom 13. Oktober 1095 bis Anfang April 1096, aufkommender Seuchen und Armut sowie unheilverkündender Himmelserscheinungen waren die Massen in den Städten inzwischen so fanatisiert, daß am 29. Mai 1096 Kreuzfahrer und Einheimische die Kölner Synagoge und jüdischen Besitz zerstörten. Ein Erdbeben, das an diesem Tage verspürt wurde, stachelte die Wut der blutrünstigen Menge zusätzlich auf.

Der Historiker Weyden stellte fest, daß sich die von Bonn geflüchteten Juden in die Eifel zu retten versuchten. Im Oberstift von Altenahr glaubte man sich sicher. Das Asyl wurde jedoch von den Mördern aufgespürt. Als die Juden die Kunde erhielten, daß sich die Kreuzzügler näherten, beschlossen sie, sich selbst das Leben zu nehmen (Weyden 1867, S. 74-79). Diese Begebenheit beweist erstmals, daß die Eifel und die in der Voreifel gelegenen kleinen Ortschaften von Juden aufgesucht wurden, wenn sie in Not waren!

Auch für die nächsten Jahrhunderte sind Kuchenheimer Juden noch nicht nachweisbar.

Im benachbarten Euskirchen, das sich seit 1302 Stadt mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten nennen konnte, hatten sich jedoch schon Juden angesiedelt. Diese lebten - gemäß ihrem Gewerbe - in unmittelbarer Nähe des Vieh- und Ferkelmarktes. In der „Judengasse" (heute Bischofstraße) gab es keine gettoähnlichen Zustände, keine sozialen Beschränkungen, keine Tore, die bei Sonnenuntergang abgeschlossen werden mußten. Aber dennoch wurden hier in der Mitte des 14. Jahrhunderts Juden verfolgt und getötet. Zu Anfang des Jahres 1348 war im Süden Frankreichs die Pest ausgebrochen. Millionen Menschen wurden dahingerafft. Fanatiker behaupteten, die Juden hätten sämtliche Brunnen vergiftet, um sich an den Christen zu rächen. Der blinde Wahn ließ gar nicht erst den Gedanken zur Geltung kommen, daß sich die Juden ebenfalls des Brunnenwassers bedienten und sich somit selbst vergiftet haben müßten.

Nach dem Deutzer und Düsseldorfer Memorbuch sollen u.a. die jüdischen Gemeinden zu Bonn, Köln, Düren, Lechenich, Münstereifel und Euskirchen ausgerottet worden sein. „Etwa Anfang August 1348 fiel in der Voreifel das Landvolk über die Juden her und erschlug sie fast alle.“ (Brisch 1879, S. 134/Lacomblet lll Nr. 489).

Juden in Kuchenheim vor der Französischen Revolution

Mit dem Niederlassungsverbot für Juden in Köln wichen diese seit dem 15. Jahrhundert in die benachbarten Orte und verstärkt auch in die Voreifel aus. Spätestens seit dieser Zeit haben sich, von den jüdischen Gemeinden Euskirchen, Flamersheim, Rheinbach und Münstereifel ausgehend, auch in Kuchenheim Juden angesiedelt. Als Zentralort des Kurkölnischen Amtes Hardt und gegenüber Euskirchen gelegen, bot Kuchenheim mit seinem Gerber- und Mühlengewerbe und intensiver landwirtschaftlicher Produktion durchaus Standortbesonderheiten. Bei der mangelhaften Aufarbeitung der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Aktenbestände ist es allerdings kaum verwunderlich, daß momentan der älteste Beleg von Kuchenheimer Juden erst von 1668 datiert. Im Akt über die Salpetergrube des Amtes Hardt wird dort der Jude „Kunibert von Cuchenheim" (Abb. 256 u) genannt (HStaAD KK IV 1281 fol. 7, Schulte 1972, S. 131 f).

1736 bis an sein Lebensende war R. Moyses hier wohnhaft. Für die nächsten Jahre häufen sich die Hinweise, daß sich Juden in Kuchenheim niedergelassen hatten. So eruierte Klaus H. S. Schulte, daß 1764 Moyses, Jacob und Voos Menken sowie Callmann, genannt Liffmann, hier „vergleidet" waren, das heißt, daß sie als ehrenwerte Männer ihre Handelspatente erhalten hatten. Letzterer, ein Sohn des Callmann zu Kirchheim, heiratete 1757 in Bonn. Seine Witwe prozessierte 1788 zusammen mit Wilhelm Heuser gegen einen Dionys Porschfeld wegen ausstehender Zahlung. Jacob war ein Schwiegersohn des Callmann zu Kirchheim und ursprünglich im Hause seines Schwiegervaters ansässig. Danach zog er nach Kuchenheim (1764) und wurde der Stammvater der noch heute bekannten Familie Sommer. 1765 wurde dem Vorsteher und dem Schöffen in Kuchenheim bedeutet, die Vergabe des Judengeleites erfolge ausschließlich von der kurfürstlichen Hofkammer in Bonn (HStaAD KK lll Hofrat 150b fol. 43 sowie KK ll 5726 Bonner Judenliste. Schulte 1972, S. 118 f, 131). In Bezug auf die vielen Sonderverordnungen die die Anzahl der jüdischen Familien oder sogar deren Gewerbe vorschrieben, waren die für die Kuchenheimer Juden ausgestellten „Vergleidungen" lebensnotwendig. Im 16./17. Jahrhundert litt zudem auch die Voreifel unter dem umherschweifenden Gesindel: vom Kriegsdienst entlassene Soldaten, Zigeuner, Mord- und Diebesbanden. Besonders die vielen kleinen Dörfer wurden oft heimgesucht, weil sie nicht - wie zum Beispiel Euskirchen und Münstereifel - durch Mauern geschützt waren. In diesem Zusammenhang schadeten die sogenannten „Packjuden sehr dem Ruf ihrer ehrbaren Glaubensbrüder. Sie stahlen und raubten, so daß immer wieder strengere Strafen gefordert wurden. Im Jahre 1746 richtete der kurfürstliche Hofrat in Bonn an das Gericht in Kuchenheim eine Weisung betreffend „unvergleidete Juden, dergleichen Fremdlinge", die auch in Zukunft „ohne Umschweife zu entfernen" (HSta AD KK lll Hofrat 131a fol. 334) wären. Auch im benachbarten Euskirchen, das zum Jülichschen Besitz gehörte, gab es ähnliche Vorschriften. Unter dem Nachfolger Karl Philipps, Karl Theodor- Kurfürst von der Pfalz zu Sulzbach (1743-1794) -, erfolgten ähnliche Verordnungen. Zunächst erschien am 21. Februar 1744 ein Rundschreiben, das sich an „welsche und sonstige ausländische Studenten, starke Bettler, umherstreifende Gaukler Spieler, Quacksalber, Deckel- und Löffelgießer, Wannläpper, Packjuden ...“ richtete und ihnen harte Strafen für kriminelles Verhalten androhte (Arntz 1983, S. 37). Sollte die Obrigkeit tatsächlich einmal durchgreifen, verschwanden die Verfolgten über Kuchenheim, Münstereifel in die Eifel bzw. umgekehrt. So ist zu vermuten, daß besonders in Kuchenheim sich häufig „unvergleidete Juden" vorübergehend aufhielten, die dann bei Kontrollen über die zwei Kilometer entfernte „Grenze" verschwanden. Größer dimensioniert war der gleiche Zustand in Zülpich, wo offiziell nur 5 jüdische Familien ansässig sein durften. In der Mitte des 18. Jahrhunderts war hier jeder zehnte Einwohner jüdisch. Deswegen wurden sogar die Landstände aufgerufen, weil diese Entwicklung mehr als ungewöhnlich war. Im Jahre 1749 waren in Zülpich 14 jüdische Familien ansässig mit über 70 Angehörigen. Die Einwohner forderten die genaueren Kontrollen durch die Obrigkeit (Arntz 1983, S. 38, 510).

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Mitglieder der Familie Sommer 1895 als Mitglieder des Veteranenvereins von 1870/71 - ol Simon, or Moses Sommer;
u Akte über den Juden Kunibert von Cuchenheim 1668, Fotos HStaAD.

Nachteiliges wurde über Kuchenheimer Juden im 18. Jahrhundert nicht bekannt. Als sich im Jahre 1745 David Samuel, auch Zander Dilsem genannt, in Brück an der Ahr niederließ, fragte der Amtsverwalter beim Gericht in Kuchenheim nach dessen Leumund nach und über dessen „Aufführung, weilen er sich da aufgehalten, ausführlichst zu berichten" (HStaAD KK III Hofrat 130b fol. 305). Auch Anschel David aus Kuchenheim (1770) war rechtschaffen genug, um bei seinen Nachbarn nicht in Mißkredit zu kommen. Seine Söhne Beer und Coppel lebten in Wißkirchen, David Winter als Fruchthändler im benachbarten Weidesheim (Schulte 1972, S. 219f.).

In keiner Quelle ist über die Berufe und Tätigkeit der Kuchenheimer Juden bis zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Rede. Es ist aber anzunehmen, daß sie sich der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung der gesamten Voreifel angeschlossen und von Handels- und Marktgeschäften ernährt haben. Die Juden erschienen nämlich seit ihrer Anwesenheit in Deutschland meist als Kaufleute, Waren- und Viehhändler. Bis etwa 1500 war auch das Geldgeschäft fast ein jüdisches Monopol, denn Christen durften nach den strengen mittelalterlichen Bestimmungen kein Geld gegen Zinsen ausleihen. Zudem verwehrten die Zünfte Juden die Aufnahme. Landwirtschaft zu betreiben, war für sie auch unmöglich, da sie keine Erlaubnis zum Erwerb von Grundbesitz hatten.

Kuchenheimer Quellen berichteten über die Tatsache, daß der Fellhandel und die Anfänge der Lederindustrie in Euskirchen und Umgebung direkt oder indirekt mit Juden in Verbindung zu bringen sind. In der beachtlichen Vallenderschen Familienchronik hielt Adam Vallender aus Cuchenheim 1765 bis 1786 wichtige Details fest (s.u. Die Gerberei Vallender):

Für Leder und Felle schienen tatsächlich schon damals die Juden verantwortlich gewesen zu sein. Die Felle wurden, soweit es 'trockene' waren, dem Wert nach geschätzt und gekauft, während die 'grünen' aufs Jahr akkordiert waren. Als Lieferant gab es, da man noch keine Häute aus dem Ausland bezog, Metzger aus der Nachbarschaft. Diese waren meist Juden: Samuel Lazarus aus Roitzheim, Jacob und Lewe Callmann aus Cuchenheim, Joseph Comperich aus Schweinheim, Moyses Capellaus Cuchenheim, Abraham, lud ex Roitzheim ... (Simons 1925, S. 472 - Arntz 1983, S. 34).

Adam Vallender aus Kuchenheim hielt im Jahre 1783 auch fest, wie er selber damals seine Häute einkaufte:

1783 mit Levi Abraham et Israeli gebrüder juden ex großen Büllesheim einen accord gemacht über ihre diesjährige schlachtbare fell - soll ich ihnen für ein jedes ordnungsgemäß geschlachtetes und frey geliefertes Pfund Fell zahlen 4 ½ stbr, anstatt des Trinkgeldts leder für 3 paar sabathsschuh, hingegen müssen sie mir obrück zahlen 10 Pfund rinth- und ein 10 pfündiger braten Kalbfleisch ...

... ein andermal soll ... zahlen, anstatt des Trinkgeldts einem Jeden leder für ein paar schu, item ein paar halbe lappen mit örth, und denen Jungen, so die fell tragen, einem jeden ein paar halbe läpger " (Simons 1925, S.493f.).

Nach den Unterlagen der kurkölnischen Verwaltung gab es in Rheinbach im Jahre 1757 nur 3 jüdische Familien, aber 1777 schon 10 (Thomas 1983, S. 6). Ähnliches muß wohl auch im kurkölnischen Amte Hardt, zu dem damals auch Kuchenheim gehörte, zu beobachten gewesen sein. Im Jahre 1768 nämlich baten die hier vergleideten Juden um Wiederzulassung der Judenschule in Kuchenheim: solche habe schon vor undenklichen Zeiten bestanden und sei lediglich wegen Absterbens der Judenfamilien nicht mehr verrichtet worden. Ansonsten müsse man ins Jülichsche nach Euskirchen gehen; dies sei für die Kinder eine gefahrvolle Stunde Weges (Schulte 1972, S. 131/HSta AD KK ll 148b). Die Hofkammer gab der Bitte nach, so daß wohl seit jener Zeit ein Betraum in Kuchenheim bestand. Er hat wohl auch - von Unterbrechungen abgesehen - bis 1938 bestanden. Die einheimischen jüdischen Kinder erhielten in der Breite Straße ihre religiöse Unterweisung, mußten aber gelegentlich nach Flamersheim ziehen, wenn der Unterricht im Dorfe selber aus organisatorischen Gründen nicht mehr gewährleistet war.

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Topographie jüdischer Institutionen in Kuchenheim

1 „Judenschule" und Betraum nach 1853;
2 Betraum bis 1930;
3 Betraum 1930-1938;
4 Friedhof; die Anwesen jüdischer Dorfbewohner 1938 sind schwarz gekennzeichnet:
A Emanuel Sommer,
B Karl Sommer,
C Otto Sommer,
D Simon Rolef,
E Amalie Wolf.

Das Zeitalter der Emanzipation 1794-1933

Der Untergang des alten brüchigen Ständestaates 1794, die zwanzigjährige Herrschaft der Franzosen, die darauf folgende Restauration und Angliederung an den preußischen Staat, der übrigens auf dem Wiener Kongreß die Rheinlande nur widerwillig übernahm, weil ihm weit mehr an der Abrundung seiner Stammlande im Osten gelegen war, verursachten einen gewaltigen Riß im historischen Bewußtsein der rheinischen Bevölkerung. Mit den neuen Gewalten, die natürlich das bei ihnen in Kraft befindliche Staats-, Verwaltungs- und Beamtenrecht in den Rheinlanden einführten, war die gesamte Bevölkerung nicht durch die lebendige Tradition verbunden; dies schon ließ besonders die Menschen auf dem Lande einander näherrücken, so daß auch gefühlsmäßig die Schranken zwischen Christen und Juden schwanden. Hinzu kam, daß mit dem Einrücken der französischen Heere (Oktober 1794) alle linksrheinisch lebenden Juden von der jahrhundertealten Entrechtung und Diskriminierung befreit worden waren. „Alles, was nach Sklaverei schmeckt, ist aufgehoben!" lautete die Proklamation des Regierungskommissars Rudler am 21. Frimaire des Vl. Jahres der Republik (12. Dezember 1797). Für die Kuchenheimer Juden änderte sich aber wenig. Sie lebten nicht in Gettos, die man in den großen Städten unter dem Jubel der Bevölkerung geöffnet hatte, und waren eigentlich in dem überschaubaren Dorf recht gut integriert. Aber auch für sie war bedeutsam, daß ein Dekret Napoleons vom 20. Juli 1808 den Juden befahl, feste Vor-und Familiennamen anzunehmen. Inschriftlichen Quellen früherer Jahrhunderte wurden die Juden durch das Hinzufügen von „Judt“ zum Namen gekennzeichnet. An anderer Stelle wird - auch in bezug auf Kuchenheim - dargestellt, wie lange dennoch der Weg war, bis die Juden auch in letzter Konsequenz gleichberechtigt waren (Arntz 1983, S. 42-76). Bis dahin wurde von den Preußen verlangt, daß Juden „Moralpatente" nachweisen könnten, daß sie nicht ins Ausland (d.h. nicht-preußische Gebiete) abwandern durften u.a.m. So war das Emanzipationsgesetz des Rheinischen Landtages vom 23. Juli 1847 auch für die Kuchenheimer Juden ein bedeutsames Dokument. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf die Entwicklung der Bevölkerung (vgl. Abb. 331):

 

Jahr

Gesamtbevölkerung

Juden

1806
1843
1854
1869
1885
1895
1900
1929
1930
1932

563 (1808)
980
1084 (1861)
1102
1290 (1890)
''
1413
1835
1740
1755 (1933)

25
33
36
31
28
29
32
11
11
11

 

Mit der Übernahme des linksrheinischen Gebietes durch die Preußen gehörte Kuchenheim von 1815 bis 1932 zum Landkreis Rheinbach. Dieser umfaßte die Bürgermeistereien Adendorf. Kuchenheim. Münstereifel, Ollheim und Rheinbach mit einer Zahl von insgesamt 642 Juden im Jahre 1831. Für die Entwicklung und Orientierung der Kuchenheimer Judengemeinde war bestimmend, daß die Ämter Kuchenheim und Münstereifel dann dem Landkreis Euskirchen angegliedert wurden, so daß besonders die Verfolgung in der nationalsozialistischen Zeit der in der Kreisstadt Euskirchen selber parallel verläuft. Im religiösen Bereich gab es bis zur Deportation im Jahre 1942 dorthin allerdings wenig Kontakte. Dies hatte besondere Gründe.

Schulte betont in seiner Dokumentation zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein (S. 183), daß nach dem Inkrafttreten des sogenannten Emanzipationsgesetzes von 1847 die beteiligten Behörden für den Kreis Rheinbach- im Gegensatz zu anderen Landkreisen-die Errichtung einer einzigen Kreis-Synagogengemeinde anstrebten. Zu diesem Zweck beriet 1848 der Landrat zur Gründungsversammlung 20 Notabeln ein. Aus dem Sitzungsprotokoll ist ersichtlich, daß innerhalb der „Judenschaft“ des Kreises Rheinbach „große Abneigung“ gegen die Errichtung einer einzigen Kreissynagogengemeinde bestand. Auch in Kuchenheim, wo damals rund 35 Juden lebten, wurde die Befürchtung laut, mit der Unabhängigkeit der vielen kleinen Glaubensgemeinden sei es nun zu Ende. Da nur die wirtschaftlich starken Gemeinden Meckenheim und Rheinbach das Projekt befürworteten, beschränkte man sich auf die Konstituierung der „Spezial-Synagogengemeinden Flamersheim, Meckenheim, Münstereifel und Rheinbach“ (Schulte 1972, S. 183, detaillierter: Kolvenbach 1962, S. 42-44). Seit dieser Zeit ist Kuchenheim eindeutig nach Flamersheim orientiert. So ist es auch verständlich, daß die Kuchenheimer Juden Sommer, nämlich Callmann, Leonhard, Michael und Zacharias (Erben) nachweislich ihre Kultusbeiträge im Jahre 1854 der Spezial-Synagogengemeinde Flamersheim zukommen ließen (Schulte 1972, S. 253).

Während bisher jüdische Kinder von ihren Eltern oder dem Vorsteher der Gemeinschaft erzogen werden konnten, gab es auch hier seit dem Gesetz von 1847 Änderungen. Von nun an mußten die jüdischen Kinder Kuchenheims die örtliche Elementarschule besuchen. Privatunterricht war nur noch erlaubt, wenn er von der Schulaufsichtsbehörde als ausreichend anerkannt wurde. Dennoch wurde im Hause Sommer der erforderliche Religionsunterricht fast regelmäßig gegeben. Hier wurde auch der spätere Gesetzlehrer in Münstereifel (1849/50), Leopold Sommer, der später in Euskirchen wohnte, im Pentateuch ausgebildet (Schulte 1972, S. 131).

Die gesicherten Verhältnisse seit 1847 bewirkten eine größere Seßhaftigkeit der Juden (StAEUKu l 414). Viele kauften sich nun Häuser, während sie vorher meist zur Miete wohnten. Kolvenbach eruierte für Münstereifel, das ebenfalls zum Landkreis Rheinbach und zur gleichen Synagogengemeinde wie Kuchenheim gehörte, daß 1867 schon 19 von 21 jüdischen Familien ein eigenes Haus besaßen. Im Jahre 1854 war es im Prinzip in Kuchenheim ähnlich. Von den vier jüdischen Familien waren drei Hausbesitzer.

 

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Cuchenheim, 15. Nov. Gestern morgen zwischen 8 und 10 Uhr wurden dem hiesigen Händler Philipp Sommer 25- bis 30000 Mark bares Geld und 2 Schecks von 14- und 9000 Mark gestohlen. Die Diebe, die offenbar mit den Gewohnheiten und Oertlichkeiten vertraut waren, sind durch das offene Hoftor ins Haus gekommen, während der Besitzer abwesend war.
* Cuchenheim, 1. Aug. ~ Heute feierte der älteste Bürger unseres Dorfe, Herr Jakob Sommer sen., bei geistiger und körperlicher Frische seinen 90. Geburtstag.

Gestern Abend 9 ½ Uhr entschlief sanft im Willen Gottes ergeben, unsere innigst geliebte Gattin, Mutter, Tochter, Tante, Schwester und Schwägerin
Diana Sommer
geb. Kaufmann,
im Alter von 46 Jahren.
Im Auftrage der trauernden Hinterbliebenen
Moses Sommer.
Cuchenheim, den 22. April 1892.
Die Beerdigung findet statt Sonntag Nachmittag 2 Uhr.

 

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Fast die einzige Besonderheit sind die Beträume der Kuchenheimer Judengemeinde. Der alte Betraum im Repräsentationsraum des 1680 errichteten Gebäudes.

Foto: Wildemann ca. 1924.

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Mit dem Mitgliederschwund der Gemeinde wurde auch der große Betraum ausgegeben und 1930 der Stall des Gehöftes Emanuel Sommer (heute KSK) entsprechend ausgebaut. Er wurde 1938 demoliert.

Foto: Fellbach.

 

Unter Berücksichtigung der damaligen Infrastruktur und der schlechten Reisebedingungen sei gesagt, daß die kleine jüdische Glaubensgemeinschaft in Kuchenheim nur Kontakt zu denen in Stotzheim, Weidesheim, Großbüllesheim, Kirchheim und natürlich Flamersheim hatte, da diese alle in der Spezial-Synagogengemeinde Flamersheim zusammengefaßt waren. Die drei anderen - Rheinbach, Meckenheim und Münstereifel - waren anders strukturiert. Es wirkt tragisch, wenn man bedenkt, daß diese Verbundenheit bis zum Tage der Deportation anhielt!

Dennoch kann für die Zeit bis 1933 konstatiert werden, daß sich die Kuchenheimer Juden selten so integriert und zufrieden fühlten (Abb. 258-260). Sie nahmen ihre Pflichten wahr, nahmen an den Kriegen teil (Abb. 25901), zählten zu den Mitgliedern der Ortsvereine. Leopold, Simon und Moses Sommer (Abb. 2560) waren Teilnehmer des Krieges 1870/71, gehörten 1891 dem Kriegervereine an und waren zuletzt noch Mitglieder der deutschen Sektion des „Hilfsvereins der deutschen Juden", der Auswanderer nach Palästina und dort auch Schulen betreute (HStaADLA Rheinbach 189). Im Ersten Weltkrieg fielen als Soldaten für Deutschland Toni Rolef und Max Sommer (Schulte 1972, S. 131 f./R.J.F, 1933,Cuchenheim). Nach Kriegsende war es Jakob jr., der für die Gruppe der Bürger zum stellvertretenden Vorsitzenden des Kuchenheimer Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrates gewählt wurde (Schulte 1972, S.132). Beim 50jährigen Jubelfest des Gesangvereins 1932 stehen Emanuel, Willi und Karl Sommer strahlend im Chor, nichtwissend, daß ihnen zwölf Monate später die Mitgliedschaft gekündigt werden wird. Auch ihr Leben wird sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 entscheidend ändern.

 

Die Verfolgung durch die Nationalsozialisten (1933-1938)

Der gesamte Amtsbezirk Kuchenheim (Eusk. Volksblatt 9. 12. 1929) bestand im Jahre 1929 aus 12 Bürgermeistereien und 8.919 Einwohnern, von denen 8.688 katholisch, 116 evangelisch und 114 jüdisch waren. In den kleinen Dörfern lebten etwa 1,2 % Juden, also geringfügig mehr, als der Durchschnitt des Deutschen Reiches aufweisen konnte. Dadurch aber, daß sich die Juden vornehmlich in Kuchenheim, Flamersheim, Großbüllesheim, Kirchheim und Schweinheim niedergelassen hatten, änderte sich der Proporz deutlich: Im Dorf Kuchenheim selber waren es zwar nur 0,6 %, in Schweinheim 1,5 %, in Kirchheim 1,3 %, in Großbüllesheim 3,8 %. Das im Volksmund Judendorf genannte Flamersheim, das um die Jahrhundertwende etwa 13 %(!) Juden besaß, hatte immerhin kurz vor der Machtergreifung noch rund 6 % jüdische Einwohner (Arntz 1983, S. 64 f., 170). Auch in Kuchenheim wurde die Anzahl der jüdischen Dorfbewohner geringer. Wie in den benachbarten Ortschaften hatte es eine Fluktuation Richtung Bonn und Köln gegeben, wo man beruflich weiterkommen wollte. Nur die Familien Sommer, Wolff und Rolef waren in den 30er Jahren noch bekannt (Abb. 260). So wurde auch der Betraum im Hause Karl Sommer (Abb. 258 ul) aufgegeben und in ein Nebengebäude des Hofes Emanuel Sommer gegenüber verlegt (Abb. 258 ur).

Die Reichstags- und Landtagswahlen vom 5. März 1933 ergaben, daß die Kuchenheimer Bewohner immer noch eher dem katholischen Zentrum (360/351) nahe waren als den Nationalsozialisten (310/ 303). Die Sozialdemokraten (165/156), die oft von den Juden gewählt wurden, konnten aufgrund dessen, was sich in den letzten Wochen ereignet hatte, nicht mehr den braunen Vormarsch stoppen (Arntz 1983, S. 169). Sigi Oster aus Flamersheim, aktives SPD-Mitglied und Angehöriger des Reichsbanners, könnte am ehesten über den Wahl-Terror sprechen. Er lebt heute in Israel und wird im Juni 1984 seiner Heimat einen Besuch abstatten. Emil Herz aus Flamersheim schied als Jude ebenso aus dem Gemeinderat aus wie schon früher der prominente jüdische Arzt Dr. Hugo Oster, der lange Zeit SPD-Ratsherr in Euskirchen war.

Historisch gesehen kamen nationalsozialistische Ideen erst spät nach Kuchenheim. In ihrer Selbstdarstellung vom 8. Juli 1935 betonte die Ortsgruppe, daß sie im September 1931 unter dem alten Kreisleiter Karl C. gegründet worden wäre. Damals wurden acht Mitglieder als SA-Mannen aufgenommen. Danach übernahm der Ortsgruppenleiter K. Schäfer die Führung. Die älteste Ortsgruppe der Bürgermeisterei Kuchenheim war Esch. Infolge der Aufteilung des Kreises Rheinbach erfolgte 1932 auch die Eingliederung der Ortsgruppe Esch in die von Kuchenheim. Der damalige Chronist hob die vielen Wahlschlachten hervor, die die „Machtergreifung" dann begreifbar machten. Hauptgegner waren - laut Westdeutschem Beobachter - der Marxismus und das Zentrum. Im Juli 1932 fand dann in Kuchenheim der erste große Aufmarsch der Bürgermeisterei statt, an dem 250 SA-Männer teilnahmen. Die Kuchenheimer legten Wert auf die Feststellung: „Bei größter Anstrengung durch unsere Propaganda und des guten Rednermaterials sah man allmählich doch, daß die Einsichtigen Vertrauen zu unserem Führer Adolf Hitler und seiner Bewegung gewannen. Bei der Machtübernahme zählte die Ortsgruppe Cuchenheim 60 Mitglieder- (Westdt. Beobachter Eusk. 8. 7.1935).

Wenn die Selbstdarstellung der Kuchenheimer Ortsgruppe sicher recht selbstbewußt klingt, so ist aus den Zahlen doch ersichtlich, daß die neuen Ideen nur schwer von der Bevölkerung aufgenommen wurden. Dennoch gab es auch schon in der Umgebung der Familien Sommer Bekannte, die sich allmählich absetzten. Auch hier wurde deutlich, wie schnell die nun einsetzende Propaganda und Verleumdungskampagne Erfolge zeigte. In Kuchenheim, wie allgemein auf dem Dorfe, war die Angst vor der Konfrontation mit dem Staatsapparat der Auslöser, der zur Isolierung der Juden führte. So stand etwa Willy Wershoven wegen Geschäfts mit einem jüdischen Viehhändler vor Gericht (Abb. 203). Daraus resultiert zwangsläufig die Vorsicht im Umgang mit jüdischen Mitbürgern und letztlich Desinteresse an ihrem Schicksal.

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Emanuel Sommer als Soldat 1915

Hugo Rolef, Sohn des Viehhändlers Rolef ca. 1930, ausgewandert nach Südafrika. Foto: Neukirchen

 

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Kuchenheimer Juden

Ausflug der Familien Fellbach und Emanuel Sommer zwischen 1925 und 1930.

Foto: Archiv Arntz


 

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Das führende Haus am Platze für
Damen- und Kinderbekleidung
Herren- und Knabenbekleidung
Kleider, Seidenstoffe aller Art, Baumwollwaren,
Bettwaren, Bettfedern, Wäsche für Aussteuer,
Gardinen, Steppdecken, Strickwaren, Strümpfe,
Arbeiterbekleidung, Schuhe.
Durch direkten Einkauf in der Fabrik bin ich in der
Lage meiner werten Kundschaft Aeusserstes zu bieten
Emanuel Sommer, Cuchenheim
Ecke Haupt- und Bahnhofstr. Telef. Euskirchen 326

Oben:
Ein Schuhmacher-Geselle kann sogleich Beschäftigung erhalten, bei M. Sommer, in Cuchenheim.

Unten:
Heute Samstag den 1. März trifft ein großer Transport
Hochtragender Kühe und Rinder
reiner Cleveländer Rasse bei mir ein
W. Sommer
Viehhandlung Cuchenheim
Telefon 380 Amt Euskirchen.

Festschrift des MGV Harmonia 1932

Erfa 13.8.1934; Euskirchener Zeitung 1.3.1919

 

Umgekehrt jedoch war man auf dem Lande eher in der Lage, seinem jüdischen Nachbarn beizustehen. Nachbarschaftshilfe und Freundschaft waren dann noch Werte, die bei vielen rechtschaffenen Leuten vorläufig auch von Angst nicht zerstört wurden (Abb. 260u). In der Stadt dagegen war die soziale Kontrolle größer: die Abhängigkeit als Angestellter oder Beamter, als geschätzter Kaufmann oder natürlich als Parteimitglied, war in der Stadt größer als beim Bauern oder Freischaffenden. Bis in die Tage der Deportation hinein liegen dem Verfasser eindeutige Beweise vor, daß die langen Gärten von Kuchenheim bei der Unterstützung der wenigen zurückgebliebenen Juden eine bedeutsame Rolle spielten.

Die umfangreiche Dokumentation „JUDAICA-Juden in der Voreife/"dokumentiert in einem Kapitel den „Kampf der Euskirchener Presse gegen das Judentum" (Arntz 1983, S. 187-205). Viele Lokalausgaben des Westdeutschen Beobachters befinden sich noch heute im Euskirchener Stadtarchiv, so daß Fotos und Berichte noch heute ein beredtes Bild von nationalsozialistischen Aktivitäten im gesamten Kreisgebiet vermitteln.

Die Serie „DER JUDENSPIEGEL“ zeichnete sich durch besondere Diffamie aus, wurden doch hier jüdische Mitbürger mit Namen derart verunglimpft, daß sie ihre soziale Stellung völlig verloren. Ihre angeblichen Verfehlungen - durch die Presse interpretiert - verunsicherten immer wieder den Zeitungsleser, so daß dieser, zunächst empört über die Entstellung, bald glaubte und schließlich haßte, zumindest aber gleichgültig wurde. Nur so ist es zu erklären. daß viele Zeitgenossen so offensichtlich umgekrempelt wurden.

Hetzartikel im Westdeutschen Beobachter, Lokalausgabe Euskirchen

o 11. 2.1935; u 20. 2.1935.

artikel

1. Artikel - Westdeutscher Beobachter
2. Artikel - Juden-Spiegel

Jude Liffmann macht wieder von sich reden

Er verkauft das Auto seiner Frau und flüchtet. Die Furcht vor dem Richter.

Mechernich, 9. Febr. In der letzten Zeit versucht sich der Jude, seitdem er erkannt ist, möglichst harmlos, friedlich und arbeitsam zu geben. Ab und zu springt aber immer wieder einer aus der Reihe, dem das „Gutsein“ nicht so recht gelingen will, weil es mit dem besten Willen nicht zu den verdorbenen Rasseeigenschaften des ehemaligen „auserwählten Volkes“ paßt. So einer ist auch der Mechernicher Jude Ernst Liffmann, der schon viel von sich hat reden machen und dessen neueste Heldentaten wieder in aller Munde sind.

Der noch nicht Dreißigjährige hat immer gern andere für sich arbeiten lassen. Einen Beruf kann man bei ihm überhaupt nicht angeben; es sei denn, daß man in dem Andere-übers-Ohrhauen auch eine einträgliche Beschäftigung erblickt. Liffmann ist aber insofern seinen anderen Rassegenossen aus der Art geschlagen, als er nicht nur die „Ungläubigen“, sondern auch Leute seines eigenen Blutes schädigt. So hat er bekanntlich eine einheimische Jüdin, mit der er sich schon öffentlich verlobt hatte, mit einem Kind sitzen lassen. Man erzählt sich auch, daß er bei seinen abenteuerlichen Fahrten im Ausland, die ihn bis nach Amerika führten, schon einmal verheiratet gewesen sei. Vor mehreren Wochen hat er nun in Cuchenheim bei Euskirchen eine Rassegenossin geheiratet und sich dabei ganz nach seiner Art in ein gemachtes Bett gesetzt. Das Geschäft seiner Frau sollte nun aufblühen, und zu dem Zweck kaufte sie ihm ein Auto. Vor etwa drei Wochen ist der Jude nun mit diesem Auto losgefahren, angeblich, um in Mechernich und in Bonn Geschäfte zu erledigen. Von dieser Tour ist er nicht mehr zu seinem Nest zurückgekehrt. Er soll tatsächlich in Mechernich gewesen sein und in Bonn hat er den Wagen seiner Frau, der einen Wert von 2000 Mark darstellte, für 450 Mark verkauft. Aus Bonn rief er aber in Cuchenheim an, man möge keine Unruhe haben, er käme etwas später nach Hause. Dann hörte die neugebackene Frau Liffmann lange Zeit nichts mehr von ihrem sauberen Ehemann, so daß sie es für angebracht hielt, ihren Mann bei der Ortspolizeibehörde in Cuchenheim als vermißt anzumelden. Nach einiger Zeit gin aber bei seiner verlassenen Ehefrau ein Eilbrief ein, über dessen Inhalt nichts weiter bekannt wurde, als daß sich Ernst Liffmann inzwischen nach Hamburg begeben hat und vorläufig nicht daran denkt, wiederzukommen.

In welcher Hinsicht Liffmann seine Frau und ihr Geschäft sonst noch geschädigt hat, steht im Augenblick noch nicht fest. Es wird davon gesprochen, daß er alles Erreichbare, Geld, Schucksachen usw. mitgenommen hat. Jedenfalls hat sich der saubere Jude ins Ausland begeben, das ihm ja nicht mehr unbekannt ist. Dort wird er wie so viele andere seiner Rassegenossen dazu beitragen, den deutschen Namen in der Welt herabzusetzen.

Wie wir hören, schwebt gegen Liffmann zur Zeit auch ein Strafverfahren wegen Sittlichkeitsvergehen, das er in Mechernich im vorigen Herbst an einer Arbeiterin begangen hat, die in der Lumpensortieranstalt der Mutter des Liffmann beschäftigt ist. Einige Tage vor seiner Flucht ist er deswegen bei der Ortspolizeibehörde Cuchenheim vernommen worden. Liffmann hat es also anscheinend für ratsam befunden, sich außerhalb der deutschen Reichsgrenzen zu begeben, weil man den Juden heutzutage zu gründlich auf die Finger sieht.

 

2. Artikel - Westdeutscher Beobachter

Juden-Spiegel

Ehebrecheriche Absichten eines Juden

Bis in sein hohes Alter hinein läßt ein Jude seine verbrecherischen Eigenschaften erkennen. Der alte Jude Rolef aus Cuchenheim begleitete eine Frau beim Nachhausewege. Er kündigte ihr in judenfreundlichem Tone einen Besuch an. Die Frau wehrte jedoch ab, worauf der Jude angab, alsdann ihren Mann zu besuchen. Wiederum wehrte die Frau ab mit der Begründung, daß sie zu Hause kein Vieh hätten und deshalb auch nichts zu handeln wäre. - Es war starker Frost und der Jude merkte, daß es der Frau, die ein Fahrrad bei sich führte, kalt war. Er war alsdann in schmeichelhaftem Tone erbötig, „ihr die Händchen zu wärmen“. Rein gefühlsmäßig erkannte die Frau die gemeinen Absichten des Judenhundes und suchte sofort in einem Hause Zuflucht.

Es ist „Ehrensache“ eines Juden, deutsche Frauen und Mädchen zu schänden, um bewußt die rassische Grundlage eines starken Volkes zu untergraben und so jüdische Vormachtstellung zu erreichen.

Daher der Kampf dem Judentum bis zum Letzten.

d Veruntreuung vorgeworfen, dem anderen am 20. Februar 1935 „ehebrecherische Absichten“. Auch die Euskirchener Beiträge trugen den Grundton antijüdischen Volksempfindens, wurden allerdings darin noch vom „Stürmer" übertroffen. Aber eines war beiden Zeitungen gemein: eine voyeurhafte Leserschaft. Die systematische, antijüdische Denunziation angeblich unsittlichen Verhaltens, in abscheulicher Weise erlogen und phantasiert, steigerte die heimatspezifische „Tratsch-Haltung". und die „Wußten Sie schon, daß ...-Haltung" glich der heute so berüchtigten Boulevard-Blättchen-Stimmung. Auf dem Lande und in der Kleinstadt kam man schon immer eher ins Gerede als in der anonymen Großstadt. Wie gerne las der katholische, rechtschaffene Landbewohner vom Sündenbabel, von Sex and Crime, vom Duft der großen, weiten Welt. Und all das gab es nun auch in Kuchenheim. Der aus Mechernich stammende Jude Ernst Liffmann hatte demnach eine Jüdin vorehelich geschwängert und dann sitzengelassen. Nun hatte er sich durch Verheiratung nach Kuchenheim „ins gemachte Bett" gesetzt ...

Der am 1. Dezember 1862 in Kirchheim geborene Viehhändler Simon Rolef, der im Jahre 1935 in Kuchenheim, Breitestraße 4, beheimatet war, ließ nach dem „JUDENSPIEGEL" vom 20. Februar 1935 (Abb. 261 u) mit fast 73 Jahren noch „ehebrecherische Absichten" erkennen. Die angeblich belästigte Kuchenheimerin erkannte „die gemeinen Absichten des Judenhundes". Die Lokalausgabe des Westdeutschen Beobachters resümierte, daß es „Ehrensache eines Juden" wäre, „deutsche Frauen und Mädchen zu schänden, um bewußt die rassische Grundlage eines starken Volkes zu untergraben und so jüdische Vormachtstellung zu erreichen. Daher Kampf dem Judentum bis zum Letzten!" Daß es in Kuchenheim nur noch elf Juden gab, spielte im „Rassenkampf" der Nationalsozialisten keine Rolle. Nach den Nürnberger Gesetzen vom 15. September 1935, der nun einsetzenden Entrechtung, Sondergesetzgebung und Degradierung zu einfachen „Staatsangehörigen" erfuhr die systematische Diskriminierung am 17. August 1938 eine weitere Steigerung. Vom Reichsinnenministerium wurde es Juden zur Pflicht gemacht, aus einem Verzeichnis einen „jüdischen" Vornamen zu wählen. Soweit sie andere Vornamen hatten, was für nahezu alle Juden zutraf, mußten sie ab spätestens 1. Januar 1939 zusätzlich den Zwangsnamen „Israel" (Gottestreuer) bzw. „Sara" (Fürstin) annehmen und bei der Unterschrift stets mitnennen. So wurde aus dem Kuchenheimer Emanuel Sommer der gekennzeichnete „Jüd" Emanuel Israel Sommer. Seine Frau wurde als Johanna Sara Sommer registriert.

Am 5. Oktober 1938 mußten auch die Kuchenheimer Juden ihre Reisepässe beim Bürgermeisteramt abgeben. Sie wurden nur zum Verlassen Deutschlands mit einem überdruckten „J" wieder ausgegeben. Mit diesen Papieren gelang Emanuel Sommer und seiner Familie nach der „Kristallnacht' die Flucht nach Palästina.

Die Vernichtung des jüdischen Geschäftslebens (Abb. 261) verlief auf dem Lande ähnlich wie in der Stadt. Im Bürgermeisteramt Kuchenheim setzte die Ausschaltung aus dem Wirtschaftsprozeß etwa im Jahre 1934 ein und war Ende 1938 abgeschlossen.

Eine Übersicht von jüdischen Gewerbeabmeldungen ergibt für den Ort Kuchenheim (Arntz 1983. S. 220/StA EU, Ku 11845):


31. 8.1934: WOLFF. Ferdinand, Kuchenheim, Verkauf von Obst.
1. 4.1936: WOLFF, Fritz, Autovermietung (Gewerbe wurde ihm untersagt. Min. Verfügung).
1.11.1936: SOMMER, Emanuel, Manufakturen. Geschäft auf Kuhns, Gertrud, übergegangen.
5. 3.1937: ROLEF, Simon, Viehhandel. Endgültige Abmeldung.
14. 5.1937: SOMMER, Gebrüder, Metzgerei. Geschäft wurde von Jean Biertz übernommen (dessen offizielle Anmeldung: B. 5. 1937).
1. 7.1937: LIFFMANN, Ernst, Rohprodukte. Abmeldung von Amts wegen. Unbekannt verzogen.
1. 7.1938: SOMMER, Gebrüder, Viehhandel. Die Viehandelserlaubnis wurde entzogen.
28.11.1938: ROLEF, Frieda, Verkauf von Kurz- und Weißwaren. Endgültige Abmeldung, da JUDE! Die wenigen Kuchenheimer Juden, die bis zum November 1938 ausgehalten hatten, dachten nun: Noch schlimmer kann es nicht mehr werden. Sie sollten eines anderen belehrt werden!

 

artikel2

Funkspruch mit Verhaltensmaßregeln während und nach der „Reichskristallnacht“ vom 12.11.1938 über das Landratsamt Euskirchen, urschriftlich an die zugehörige Polizeistation.

Die Vernichtung der Kuchenheimer Juden

Obwohl bei Kriegsende sehr viel Aktenmaterial vernichtet wurde, staunt man doch immer wieder., was noch alles erhalten geblieben ist. Ein beinahe vollständiger Ordner im Euskirchener Stadtarchiv gibt Aufschluß über die „Juden im Bürgermeisteramt Cuchenheim"(Sta EU, Ku l1350) und über alle Aktionen vom Zeitpunkt der „Kristallnacht" bis zur endgültigen Deportation.

Nach dem hier nicht mehr darzustellenden Attentat auf den deutschen Botschaftsrat vom Rath in Paris riefen die Nationalsozialisten zu einem Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung auf. In manchen Großstädten geschah dies in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, auf dem Lande meist ein bis zwei Tage später. Auch über den von Goebbels geprägten Ausdruck „Kristallnacht" soll an dieser Stelle nicht mehr reflektiert werden. zumal er ein Synonym für Reichtum („Kristall") sein sollte. Es wurde selbst am Beispiel Kuchenheim dargestellt, wie falsch diese Vermutung für die wirtschaftlich entwurzelten und verarmten Juden der ländlichen Gebiete war.

Am 10. November 1938 um 8.15 Uhr ging beim Landratsamt Euskirchen ein Funkspruch ein, der Minuten später dem Kuchenheimer Bürgermeisteramt durchgegeben wurde (Abb. 262):

Aktion gegen die Juden

Sämtliches Archivmaterial und wertvolle Schriftstücke in den Synagogen sind sicherzustellen. Falls irgendwelche Übergriffe auf Juden durch die Bevölkerung unternommen werden, so ist dies nicht zu steuern, aber zu verhindern, daß Diebstähle, Plünderungen und Brandstiftungen vorkommen. Juden mit über 50.000, - RM Vermögen sind sofort zu melden."

Die Kuchenheimer Polizei war ratlos, denn es hatte hier - wie auch in der Umgebung, einschließlich Euskirchen - keine Zerstörungen und Pogrome gegeben, von denen man am Morgen schon im Radio gehört hatte. Um 11.55 Uhr nahm das Kuchenheimer Bürgermeisteramt einen weiteren Funkspruch auf, in dem von der Staatspolizei Köln Verhaltensmaßregeln gegeben wurden, wie sich die Behörden bei zu erwartenden Zerstörungen zu verhalten hätten:

 

1. Falls heute nacht Zerstörungen bei den Juden stattgefunden haben, so ist gegen die Täter nichts zu veranlassen.

2. Sollten Fensterscheiben zertrümmert worden sein, sind diese sofort durch Bretterverschlag zu ersetzen.

3. Alle Waffen, die sich in Händen von Juden befinden, sind sofort einzuziehen.

Stapo Köln

 

Die wenigen Beamten des Bürgermeisteramts Kuchenheim waren verpflichtet, diesen Befehlen nachzukommen. Wir wissen heute, daß die Hausdurchsuchungen recht gemächlich vorgenommen werden sollten, zumal im Dorf das Gerücht herumlief, daß „es am Abend was geben würde".

Nach dem Pogrom am Nachmittag des 10. November 1938 in der benachbarten Kreisstadt Euskirchen zogen die sogenannten Rollkommandos „aufs Land". In dem Buch „JUDAICA" wird detailliert dargestellt, was in den einzelnen Ortschaften geschah, z.B. in Lommersum, Großbüllesheim, Flamersheim und auch Kuchenheim.

Aus den eidesstattlichen Erklärungen nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen der Entnazifizierung geht hervor, daß auch manch Einheimischer den wenigen Kuchenheimer Juden Besitz und Mobiliar zerstörte. Der Euskirchener Nationalsozialist K. war am späten Nachmittag in das Dorf gekommen und hatte in einem Lokal mehrere Runden „zum Aufwärmen" ausgegeben. Einige Kameraden aus der Stadt waren mitgekommen und prahlten mit ihren Zerstörungsaktionen auf der Annaturmstraße sowie bei den jüdischen Geschäftsleuten im Stadtzentrum. Nun solle es auch den Kuchenheimer „Jüdde" an den Kragen gehen. Angeheitert zog K. mit seinen einheimischen Gleichgesinnten in die Breitestraße 4, wo Frieda und Simon Rolef lebten. Aus den heute noch vorliegenden Protokollen des Polizeioberwachtmeisters Manheller geht eindeutig hervor, daß das gesamte Mobiliar der Wohnung und des Geschäftes zerstört wurde.

Dem jüdischen Händler Otto Sommer in der Buschstraße 3 wurden Schäden in Höhe von 300 RM zugefügt, was später von der Verwaltung auf 50 RM gedrückt wurde.

Das Hauptaugenmerk galt jedoch den beiden Häusern Breitestraße 18 und 20, wo die Familien Wilhelm und Emanuel Sommer lebten. Im Hause Emanuel Sommer, an der Ecke Hochstraße/Breitestraße, befand sich der kleine Gebetsraum, der von der Bevölkerung Synagoge genannt wurde. Dieser hatte 24 Sitze für Männer und 4 Bänke für Frauen. Er war von den Randalierern nur über den Innenhof zu erreichen, da er zuvor ein Stall (Abb. 258 ur) war und etwa 1930 für den neuen Zweck umgebaut wurde. Die Synagoge, die also nicht Gemeinde-, sondern Privatbesitz war, wurde völlig demoliert. Während sich Johanna Sommer geb. Haas mit der Haushälterin Susanne Simon im leeren Geschäftslokal aufhielt, wohl in der Annahme, als Frau nicht drangsaliert zu werden, versteckte sich Emanuel Sommer, Parnes der kleinen jüdischen Gemeinschaft von Kuchenheim, auf dem Speicher im Hinterhaus. Er ahnte, daß man es auf ihn besonders abgesehen hatte.

Vorher hatten die Eltern die elfjährige Tochter Lieselotte mit Hilfe eines Bettlakens von der ersten Etage abgeseilt, wo Maria Fellbach, die mit ihrer Familie im Hinterhaus wohnte, das Kind in Empfang nahm. Vor Angst zitternd fand das Mädchen Schutz im Schlafzimmer der hilfsbereiten Kuchenheimerin (Maria Fellbach 6. 1. 1984). Der 43jährige Emanuel Sommer war schwer asthmatisch und verriet sich durch sein unterdrücktes husten. Höhnisch wurde er aus seinem Versteck geholt und dem Zuchthaus Rheinbach überstellt, wo er aber in gleicher Nacht wegen seines bedrohlichen Leidens wieder entlassen wurde. Im Laufe des Abends soll sich der Gemeindevorsteher seinen Fuß ausgerenkt haben, so daß er am Tage darauf zum „Knochenflicker W. nach Flamersheim gebracht werden mußte (Brief Johanna Sommer + aus Israel 10. 7.1980). Nach späteren Angaben der Mutter soll Lieselotte sich von dem Schock, den sie in der .,Kristallnacht' von Kuchenheim erlitten hat, nie wieder ganz erholt haben. „Noch heute hat sie darunter körperlich und geistig zu leiden." Daß es in Kuchenheim auch brutal zugegangen ist, bestätigen die Nachbarn der jüdischen Familien. Man scheute sich auch nicht, einen brennenden Herd aus dem Fenster zu werfen. Dagegen hinderte allein der Anblick des „arischen" Gesellen in der Tür der Metzgerei Karl Sommer (Ecke Breite Straße/ Hochstraße) das Rollkommando an jeder Betätigung. Seine ernste Miene und die Bewaffnung, eine Axt, ließen erkennen, daß nur eine folgenschwere Auseinandersetzung das Betreten des Hauses ermöglicht hätte. Dies zeigt einmal mehr, daß entschlossener Widerstand deutscher Mitbürger zumindest auf dem Dorf respektiert wurde.

 

artikel3

Protokoll des Polizei-Oberwachtmeisters Manheller vom 11.11.1938, betreffend Schäden beim Vorsteher der jüdischen Kleingemeinde Emanuel Sommer, in der „Synagoge“ auf seinem Anwesen und ein Hinweis auf seine Festnahme
(StA EU, Ku II 350).

 

Am Tage darauf mußte Polizeioberwachtmeister Manheller die Schäden protokollieren (Abb. 262) und nach Waffen suchen. Mit seinem Kollegen Balg kam er auch in das Sommersche Haus und nahm unbemerkt eine dort befindliche Pistole an sich. Früher war er vom Kartenspiel her mit Karl Sommer befreundet gewesen und kannte den Aufbewahrungsort der Pistole. So konnte er - wie auch aus dem Protokoll ersichtlich (Abb. 263) - die Frage nach vorhandenen Waffen verneinen, ohne von seinem Amtskollegen der Lüge bezichtigt zu werden (Manheller2. 1. 1984).

Am 11. November sah man die wenigen Juden von Kuchenheim bei den Aufräumungsarbeiten. Man plante - teilweise vergeblich - die baldige Auswanderung. Diese gelang jedoch nicht mehr allen. Wenige Tage nach dem Pogrom vom 10. November 1938 wurde vom Kuchenheimer Bürgermeisteramt eine Liste erstellt als “Nachweisung der im hiesigen Amtsbezirk wohnenden jüdischen Staatsangehörigen" (StA EU Ku Il 350, Aufstellung vom 28. 11 1938 - Arntz 1983, S. 295-298), die für den Ort folgendermaßen aussah:

 

artikel4

 

Es würde jetzt zu weit führen, das Leben der immer mehr im Hintergrund lebenden Juden von Kuchenheim zu beschreiben. Es ähnelt zu sehr dem der Glaubensbrüder in anderen Ortschaften und Gemeinden.

Die Frage, was mit den Kultgegenständen der Kuchenheimer Synagoge geschehen ist, läßt sich mit Bezug auf ein Schreiben des Kuchenheimer Amtsbürgermeisters vom 5. Januar 1939 beantworten. Die Gebetsrollen, Silbersachen u.a. mehr waren der Geheimen Staatspolizei in Bonn (Außenstelle) überlassen worden (StA EU, Ku II, 350).

Der letzte Schritt, die „Reinigung" der Voreifel von Juden, wurde dann im Mai 1941 eingeleitet. Mit Schreiben vom 12. Mai 1941 wurde dem Euskirchener Landratsamt mitgeteilt, daß Juden zusammenzulegen seien. Die diesbezüglichen Regularien und Ausnahmen wurden detailliert aufgeführt. Aus einer Übersicht des Landratsamtes vom 17. Mai 1941 geht hervor, daß in Kuchenheim nur noch zwei jüdische Familien mit insgesamt 7 Personen ansässig waren. Diese plane man nach Großbüllesheim in andere Judenhäuser umzulegen. Dieser Plan wurde dem Kuchenheimer Bürgermeister am 28. Mai 1941 als definitive Entscheidung mitgeteilt (Abb. 264). Die Wohnungen waren zu reinigen, die Schlüssel im Rathaus abzugeben.

 

artikel5

 

Nochmalige Bestätigung vom 28.5.1941 zur Verfügung der Umsiedlung der Juden vom 17.5.1941. Die Kuchenheimer Juden mußten bis spätestens 8. Juni nach Großbüllesheim umgesiedelt sein (StA EU, Ku II 350).

Stolz konnte der Kuchenheimer Amtsbürgermeister am 13. Juni 1941 dem Landrat in Euskirchen Vollzugsmeldung machen: „Die Umsiedlung der Juden ist restlos durchgeführt" (ebd.). Im Judenhaus Meyer, Großbüllesheim, Talstraße, vegetierten in drangvoller Enge u.a. auch die Kuchenheimer Juden: Karl, Otto und Willi Sommer, Rosel Sommer geb. Kombert, der fast 11jährige Arno Sommer und Amalie Wolff.

Das Buch „JUDAICA - Juden in der Voreife/" schildert nun ausführlich, fast als Psychogramm, das schreckliche Leben in den Judenhäusern, ehe dann die Deportationen begannen.

Wahrscheinlich am Mittwoch, dem 8. Juli 1942, wurden die Großbüllesheimer und Kuchenheimer Juden zum Bahnhof nach Euskirchen gebracht. Morgens um 5 Uhr fuhr ein Pferdefuhrwerk vor, und fast unbemerkt von der Bevölkerung verließen die letzten Juden das Bürgermeisteramt Kuchenheim. Die Spuren der Kuchenheimer Juden verlieren sich im Osten, sehr wahrscheinlich im Warschauer Getto. Dem Verfasser lagen mehrere Postkarten vor, die von mitleidigen Soldaten in die Heimat weitergeleitet wurden. Hieraus wird ersichtlich, daß den Deportierten Warschau als Ziel bekannt war. Von hier aus traten sie den Gang in die Vernichtungslager an.

 

familie

Familie Emanuel Sommer 1965 in Israel. Hinten von links Johanna, Emanuel und
Tochter Lieselotte Sommer (vgl. Abb. „Spielende Kinder“ vor Betraum), vorne deren Kinder. Foto: Arntz.

Andere in Kuchenheim geborene Juden traten von anderen Städten ihren letzten Gang an. Zu diesen gehört u.a. Paula Daniel geb. Sommer, die am 14. Juni 1942 mit einem „Altentransport' nach Theresienstadt kam. Den Tag der Befreiung durfte die Kuchenheimerin nicht mehr erleben. Wenige Monate vorher - am 13. Januar 1945 - starb sie an Entkräftung (BA Koblenz, weitere Angaben in Arntz, 1983, S. 384 ff.).

Heute erinnert nur noch wenig an die kleine jüdische Gemeinde von Kuchenheim. Gelegentlich kommt noch Lieselotte Sommer als verheiratete Frau mit Familie in ihre alte Heimat zurück. Emanuel Sommer hatte sich in Palästina (dem späteren Israel) mit seiner Frau eine Obstplantage aufgebaut (Abb. 265). Beide sind inzwischen auch verstorben. Hugo Rolef, Sohn des bekannten Viehhändlers Simon Rolef, wanderte rechtzeitig nach Südafrika aus. Seine Anschrift ist nicht bekannt. Völlig verschwunden ist der Judenfriedhof im Hardtwald (Krudewig 1921, S. 252; Schulte 1972, S. 18-20: Arntz 1983, S. 141/42, Anm. 329 auf S. 513; HStaAD Reg. Köln 6419 und Bonn Forstinsp. 139), auf dem die ersten in Kuchenheim beheimateten Juden beerdigt wurden. Nur Informierte finden heute noch die kleinen Grenzwälle. Geblieben ist der jüdische Friedhof von Kuchenheim (vgl. unten Dan Bondy) als einzige Spur der einstmals rührigen Kuchenheimer Judengemeinde.

Literatur

Arntz. H D. (1983), „JUDAICA - Juden in der Voreifel“, Euskirchen.
Brisch. C. (1879), Die Geschichte der Juden in Cöln und Umgebung aus ältester Zeit bis auf die Gegenwart (Nach handschriftlichen und gedruckten Quellen bearbeitet). Mülheim.
Kolvenbach. W. (1962), Geschichte der Juden in Münstereifel. Examensarbeit zur 1. Lehrerprüfung. Bonn.
R. J. F. - Reichsbund jüdischer Frontsoldaten. Ein Gedenkbuch: Die jüdischen Gefallenen des deutschen Heeres, der deutschen Manne und der deutschen Schutztruppen 1914-1918. 21932. Überreicht dem Reichspräsidenten von Hindenburg anläßlich seines 85. Geburtstages.
Schulte. H. S-K. (1972), Dokumentation zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein seit dem 17. Jahrhundert Düsseldorf. Simons, P (1924), Aus Euskirchens alten Tagen, Unsere Heimat Euskirchener Land im Wandel der Zeit 1-3, 1924-1926. Thomas. R. (1983), Jüdische Mitbürger in Rheinbach und Umgebung. Spuren und Daten. Rheinbach.
Weyden. E (1867), Geschichte der Juden in Cöln. Cöln.

 

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