Kontakte durch Regionalhistorie: Judenverfolgung und Fluchthilfe –
Das Haus an der deutsch-belgischen Grenze

von Hans-Dieter Arntz
14.12.2009

Es ist immer wieder interessant, wie vielseitig die Resonanz auf meine meist regionalhistorischen Bücher ist. Besonders der 810 Seiten starke Band Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischem Grenzgebiet schafft ausländische Kontakte zu ehemals im Raum Bonn-Köln-Euskirchen-Aachen beheimateten jüdischen Familien, und aus meist genealogischen Anfragen entwickeln sich nicht selten lebendige Korrespondenzen und persönliche Begegnungen.

Leser meiner Dokumentationen über das Kriegsende 1944/45 und über die NS-Ordensburg Vogelsang überlassen mir gelegentlich Fotoalben oder private Unterlagen, die ich für weitere Publikationen sorgsam archiviere. Ich selber vermittele – nach Rücksprache mit den Betroffenen – Kontakte, die nach etlichen Jahren ein persönliches Wiedersehen ermöglichen. Das ist der lebendige Aspekt der Regionalhistorie!

So war es auch heute. Vor wenigen Minuten erreichte mich eine solche Anfrage:

…mit großem Interesse habe ich Ihr Buch "Kriegsende 1944/1945 im Altkreis Euskirchen" gelesen. Die Beiträge der früheren Schülerin (…), geb. 23.8.1926, (s. Ausweiskopie auf Seite … dieses Buches) berühren mich persönlich, weil ich (Jahrgang 1924) im Dezember 1944 - vor Beginn der Ardennenoffensive - die Bekanntschaft mit (…) machen durfte. Durch Krieg- und Nachkriegszeit gingen die Kontakte nach einigen Jahren leider auseinander; ich kam erst Ende 1948 aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Nun versuche ich, auch als Gedächtnistraining, Jugenderinnerungen aufzufrischen. Soweit möglich, würde ich dazu jetzt gern zum Austausch der Erinnerungen Kontakt mit Frau (…) aufnehmen.

Als die Dipl. Soziologin Maryanne Becker am 23. Oktober per E-Mail den o.a. Dokumentationsband „Judenverfolgung und Fluchthilfe“ bei mir bestellte, wusste ich nicht, dass die Berlinerin selber Autorin ist und gerade das Manuskript zum Buch „Grenzlandfrau“ abgeschlossen hatte.

Maryanne Becker

Maryanne Becker (© Heinz W. Pahlke)

Am 14. November kontaktierte sie mich erneut und wies auf einen Artikel des „Westdeutschen Beobachters“, Lokalteil Schleiden, vom 25. Januar 1937, hin, den ich auf Seite 269 wiedergegeben hatte. Er lautet – wobei die fett hervorgehobene Passage eigentlich der heutige Anlass ist, auf das lesenswerte Buch von Frau Maryanne Becker hinzuweisen:

Schleiden, 25.1. 1937

Die Regierungspressestelle teilt mit: In den letzten Monaten ist von den belgi­schen Polizeibehörden eine größere Zahl Grenzausweise, die von den deutschen Paßbehörden ausgestellt worden waren, wegen mißbräuchlicher Benutzung einge­zogen worden (…). Die für Belgien bestimmten Grenzausweise gelten nur für den zwischen Deutschland und Belgien vereinbarten Grenzbezirk, der auf belgischer Seite das Gebiet der ehemaligen Kreise Eupen und Malmedy sowie die Gemeinden Appenaken, Moresnet, La Calamine, Gemmenich, Montzen, Henri-Chapelle, Welkenraedt, Baelen und Membach umfasst (…). Wer darüber hinaus reist, macht sich strafbar (…).Nach dem deutsch-belgischen Grenzabkommen darf die Grenze nur an den in den Grenzausweisen bezeichneten Grenzübergangsstellen übertreten wer­den. Außerdem verlangen die belgischen Paßbehörden, daß die in das belgische Gebiet eintretenden Personen durch die beim Grenzübergang befindliche Zoll­stelle hindurchgehen (…).

Die Nichtbeachtung dieser Vorschrift hat für viele Deutsche gleichfalls die unan­genehme Folge gehabt, daß ihnen trotz ihres guten Glaubens der Grenzausweis abgenommen wurde. Besonders trifft dieses für die Besucher von Hauset zu, die hinter Köpfchen vor dem belgischen Zoll den Weg nach Hauset benutzen, der gleich hinter dem deutschen Zoll von der Straße abbiegt.

Schließlich sei darauf hingewiesen, daß der Grenzausweis allein nicht zur Arbeits­aufnahme oder gewerblichen Tätigkeit im Grenzbezirk berechtigt. Hierzu bedarf es außerdem einer besonderen Genehmigung der belgischen Behörden.

Am 14. November informierte mich Frau Becker, dass ihr neuer Roman „Grenzlandfrau“ am 23. November im Grenz-Echo Verlag, Eupen/Belgien, erscheinen würde und eine sehr nahe inhaltliche Verbindung zu meinem Buch Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischem Grenzgebiet hätte:

Ich habe etwas Interessantes entdeckt: In Ihrem Buch „Judenverfolgung und Fluchthilfe“, S. 269 unten, zitieren Sie einen Artikel aus dem Westdeutschen Beobachter (Schleiden) vom 25.1.1937. Im vorletzten Absatz heißt es: „Besonders trifft dieses für die Besucher von Hauset zu, die hinter Köpfchen vor dem belgischen Zoll den Weg nach Hauset benutzen, der gleich hinter dem deutschen Zoll von der Straße abbiegt.“

Dieser Weg heißt „Kaiserallee“ – und genau am Ende dieses Weges, unmittelbar an der Grenze zu Deutschland, liegt das Haus, das (und dessen Bewohner) in meinem Roman die Hauptrolle spielt. Ich bin in diesem Haus aufgewachsen!

Grenzlandfrau

Maryanne Becker,
Grenzlandfrau. Roman,
ISBN 978-3-86712-040-1
176 Seiten,
erschienen am 23. November 2009
im Grenz-Echo Verlag, Eupen/Belgien

Schon wegen dieses Bezugs zu meinem eigenen Buch „Judenverfolgung und Fluchthilfe“ weise ich gerne auf die Autorin und ihren neuen Roman hin:

Maryanne Becker, Jahrgang 1952, in Ostbelgien geboren und aufgewachsen, studierte Soziologie und lebt als freie Autorin in Berlin. Sie veröffentlichte Sachbücher, Kurzgeschichten und Lyrik.
Ihr Roman entstand in Anlehnung an wahre Begebenheiten. Einzelne Dialoge sind jedoch – auf der Grundlage überlieferter Erzählungen – frei erfunden. Zu dem Buch „Grenzlandfrau“ teilt der Verlag mit:

In diesem spannenden Roman erzählt die Autorin die bewegte Geschichte einer Frau in den Wirren der Zeit von 1918 bis 1955.

"Bald hieß es einsteigen, ein schneller, tränenreicher Abschied im Gedränge. Lautes Zischen erfüllte den in Dampf und Rauch gehüllten Bahnhof, als sich der Zug unter schwerem Getöse in Bewegung setzte. Die Frauen blieben zurück, wir waren viele, aber jede von uns war allein."

Wenige Tage vor Ende des Ersten Weltkriegs wird Jacki in einem kleinen Dorf westlich von Aachen geboren. Im Zuge des Versailler Vertrags fällt das Gebiet Eupen-Malmedy an Belgien. Nun steht Jackis Elternhaus unmittelbar an der belgisch-deutschen Grenze. Die Familie wird belgisch, lebt im Grenzland. 1940 werden die belgischen Ostkantone von Deutschland annektiert und Jul – Jackis Mann – wird als Soldat zur Wehrmacht eingezogen. Nach der Befreiung Belgiens verläuft die Grenze zu Deutschland wieder vor Jackis Haus. Durch die Fäden des Schicksals steht Jacki vor neuen Herausforderungen, die sie an die Grenze geltender Moralvorstellungen führen.

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