Anfang der 1980er Jahre begann in der rheinischen Voreifel die zaghafte Aufarbeitung der „jüngsten Vergangenheit“. Meine zahlreichen Dia-Vorträge in den Altkreisen Euskirchen und Schleiden waren sehr gut besucht und bewiesen ein starkes Interesse der Bevölkerung an der Zeit des Nationalsozialismus und des Holocaust. Die Redaktion der Kölnischen Rundschau bat mich, in einer Serie die Zeit von 1933 bis 1945 zusammenfassend darzustellen, was auch in dem Euskirchener und Eifeler Lokalteil in der Zeit vom 28. Juli bis zum 10.August 1988 sowie später geschah.
Der vorliegende Beitrag über die „Machtergreifung“ in Euskirchen – 55 Jahre nach diesem Ereignis – erschien am 30. Januar 1988 war somit nur eine „Einstimmung“ und Einleitung.
Auf dem Alten Markt herrschte ganztägig große „vaterländische Begeisterung"
30. Januar 1933: Vor genau 55 Jahren ernannte der Ehrenbürger der Kreisstadt Euskirchen und Präsident des Deutschen Reiches, Generalfeldmarschall von Hindenburg, Adolf Hitler zum neuen Reichskanzler. Hiermit fand zumindest äußerlich etwas statt, was von den Nationalsozialisten als „Machtergreifung" bejubelt wurde.
Gerne tut man dieses Datum als den vorläufigen Höhepunkt eines brutalen Machtkampfes ab, der in Form von Straßenschlachten besonders in den Großstädten stattfand. Erst neuerdings befasst man sich damit, das Aufkommen des Nationalsozialismus in den Landgemeinden aufzuarbeiten. Für den Altkreis Euskirchen lässt sich nachweisen, dass die Aktivitäten der Nationalsozialisten seit 1929 zu beobachten sind und seitdem kontinuierlich - im angemessenen Verhältnis - dem Machtkampf im Deutschen Reich glichen.
Auch die Tatsache, dass Euskirchen prominente konservative Politiker hatte, die überall ihren Einfluss geltend zu machen versuchten, konnte die „Bewegung" nicht eindämmen.
Kreisleiter Dr. FaßI, Hals-, Nasen- und Ohrenarzt in Euskirchen, hielt am 30. Januar die Jubelrede
In diesem Zusammenhang müsste der ehemalige Reichskanzler Wilhelm Marx (1923-25 und 1926-28) genannt werden, dessen Familiengeschichte sich nach Flamersheim zurückverfolgen lässt, oder der Vizepräsident des Deutschen Reichstages, Thomas Eßer, der nach der „Machtergreifung" sogar noch durch die Nationalsozialisten im Reichstag in seinem Amt bestätigt wurde. Besonders diese Tatsache musste für jeden Einwohner des Kreises Euskirchen eine Beruhigung sein.
Die erste Kundgebung wurde auf Veranlassung der Gauleitung der NSDAP Rheinland im Juni 1929 in der Euskirchener Tonhalle abgehalten. In unmittelbarer Nähe des Rheinischen Kaufhauses auf der Kessenicher Straße sprach der spätere stellvertretende Gauleiter, Richard Schaller, der vorher mit 60 Männern der Kölner SA und SS einen Propagandamarsch durch das Euskirchener Stadtzentrum gemacht hatte.
Diese Veranstaltung galt als sensationell, hatte doch die Kreisstadt Euskirchen immer noch französische Besatzungstruppen in ihren Mauern, die eine rechtsradikale Politik ablehnten. Erst am 1. Dezember 1929 zogen diese ab.
Nach der Juni-Versammlung kam es erstmals - wie fast überall im Deutschen Reich - zu Auseinandersetzungen mit den Kommunisten. Auf dem Alten Markt hatten sich die wenigen Euskirchener Kommunisten versammelt und prügelten sich mit Kölner SA-Männern. So war es nicht verwunderlich, dass wenige Wochen später im Tivolisaal (Kölner Straße) noch mehr Schutz aus Köln anfuhr, da nach einer Propaganda-Veranstaltung eine Euskirchener Ortsgruppe gebildet werden sollte.
In Städten tobten Straßenschlachten
In diese Zeit fielen übrigens die Stadtratswahlen, die bereits die ersten Erfolge aufwiesen: 569 Stimmen bewirkten, dass von der neunköpfigen NSDAP-Ortsgruppe zwei ein Mandat erhielten. Bis zur endgültigen „Machtergreifung“ in Euskirchen jedoch war es noch ein langer Weg.
(Repros: Arntz)
In den größeren Städten der Nachbarschaft tobten größere Straßenschlachten. In diesem Zusammenhang kam der SA-Mann Klaus Clemens am 18.12.1930 ums Leben. Die Euskirchener würdigten den „Blutzeugen der Bewegung“ dadurch, indem sie einige Jahre später die neue Siedlung an der Frauenbergerstraße, in unmittelbarer Nähe des Friedhofs, nach ihm benannten. Diese Benennung ist übrigens offiziell nach dem Kriege nicht rückgängig gemacht worden.
Mit welcher Brutalität dann aber auch die „Machtergreifung" im Eifeler Land vorbereitet wurde, bewies der „Deutsche Tag", der am 25. Mai 1930 in Euskirchen abgehalten wurde. Die SA erschien mit 800 Mann und einem SS-Sturm aus Köln, und die Kreisstädter erlebten erstmals den braunen Terror vor der eigener Haustüre.
Etwa 400 auswärtige Gegner, meist Kommunisten, waren mit Fahrrädern und Lieferwagen gekommen, um die Versammlung auf dem Marktplatz zu sprengen. Der gehbehinderte Synagogendiener Andreas Meyer gehörte zu den unfreiwilligen Zeugen der Ausschreitungen und wurde auf der Annaturmstraße von Nationalsozialisten schwer zusammengeschlagen.
Im September 1930 gab es brachiale Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nazis in Stotzheim. Als weiterhin im Juli 1932 die kleine Euskirchener SS und SA von einer so genannten Propagandafahrt zurückkamen, wurden sie an der Erftbrücke von Heckenschützen angegriffen.
Nur wegen der aufkommenden Dämmerung gab es keine Verletzten und Tote. Die bald eintreffende Polizei sowie Euskirchener SA-Männer verfolgten die Kommunisten bis zum Rosental, wo unter anderem eine Menge Fahrräder gefunden wurde. Sie gehörten offensichtlich den meist aus Brühl stammenden Kommunisten, die sich vor der Übermacht zurückziehen mussten.
Die Bonner Strafkammer, die diesen Überfall an der Erftbrücke strafrechtlich verfolgen musste, wirkte jedoch später recht hilflos und kam nicht umhin, am 21. Oktober 1932 zehn von zwölf Angeklagten vom Landfriedensbruch und Waffenmissbrauch freizusprechen.
Mit dem Überfall an der Euskirchener Erftbrücke war im Kreis Euskirchen ein Schlussstrich unter die gewaltsame Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner gezogen. Fortan spielten andere politische Gruppierungen - einschließlich des Zentrums und seines immer noch beachtlichen Wählerpotentials - keine bedeutende Rolle mehr.
Die im Düsseldorfer Hauptstaatsarchiv liegenden Akten lassen auch heute noch erkennen, dass der ehrwürdige Euskirchener Zentrumspolitiker Thomas Eßer den rüpelhaften Attacken der Nationalsozialisten im Kreis kaum etwas gegenüberzusetzen hatte.
Die Skandale während der Veranstaltungen in den Concordiasälen oder besonders in Heimerzheim wurden durch angestrengte Prozesse nicht gesühnt. Der Vorsitzende des Euskirchener Heimat- und Geschichtsvereins, Dr. Reinhold Weitz, konnte neulich nachweisen, in welchem Ausmaß Thomas Eßer nach der „Machtergreifung" ein Verfolgter des neuen Systems wurde.
Die Ernennung Hitlers zum neuen Reichskanzler wurde auch von den Euskirchener Nationalsozialisten begeistert gefeiert. Der „Westdeutsche Beobachter", der seit dem 1. Juli 1933 als Nachfolgeblatt der „Euskirchener Zeitung" und „Parteiorgan" firmierte, berichtete rückblickend von einem großen Fackelzug, der durch das Euskirchener Stadtzentrum führte und auf dem Alten Markt endete.
Wehende Fahnen und bengalisches Feuer
Hier hielt Kreisleiter Dr. Faßl, der in der Hochstraße als Hals-, Nasen- und Ohrenarzt seine Praxis hatte, eine zeitgemäße Jubel-Ansprache. Dennoch muss zugegeben werden, dass der Bericht in der „Euskirchener Zeitung" am 1.2.1933 kurz war und verhältnismäßig gemäßigt klang. Doch war von vielen wehenden Fahnen und bengalischem Feuer die Rede, von „staunenden Zuschauermassen mit lebhafter Begeisterung" und einer „patriotischen Kundgebung."
Und wie endete der 30. Januar 1933, der Tag der „Machtergreifung", in der Kreisstadt Euskirchen? Gab es Widerstand oder Protestkundgebungen? Die „Euskirchener Zeitung" fasste zusammen:
Auf dem Markt hatte den ganzen Abend schon ein Läutsprecher von ganz gewaltiger Stärke durch vaterländische Lieder und Märsche große Zuhörerscharen angelockt. Ruhestörer oder Gegenkundgeber wagten sich angesichts der imponierenden Macht des geschlossenen Zuges und der aufgebotenen Polizei nirgends hervor!
Großer Appell der Euskirchener SA auf dem Annaturmplatz In Euskirchen