Israelische Zeitung HAARETZ berichtet über die inzwischen berühmte Familie Weiss sowie Flamersheim und Bergen-Belsen

Ein Artikel von Rachel Kaplan (Israel) mit einer Einleitung von Hans-Dieter Arntz
30.06.2017

Einleitung
Die bekannte israelische Tageszeitung HAARETZ gilt als Leitmedium des Landes. Ausdrücklich versteht sie sich als

„analysis from Israel and the Middle East. Haaretz.com provides extensive and in-depth coverage of Israel, the Jewish World and the Middle East, including defense, diplomacy, the Arab-Israeli conflict, the peace process, Israeli politics, Jerusalem affairs, international relations, Iran, Iraq, Syria, Lebanon, the Palestinian Authority, the West Bank and the Gaza Strip, the Israeli business world and Jewish life in Israel and the Diaspora.”

Erstmals erschien sie am 18. Juni 1919 in hebräischer Sprache, seit 1997 hat sie auch eine englische gedruckte Ausgabe und ist in beiden Sprachen online abrufbar. Die Online-Ausgaben hatten nach Angaben der Zeitung schon 2005 auf Hebräisch 700.000 und auf Englisch eine Million Nutzer monatlich.

Dass sich diese Zeitung auch mit dem aus Euskirchen-Flamersheim stammenden Josef Weiss und seiner Frau Erna geb. Falk befasst, dürfte für die Leser meiner regionalhistorischen Homepage interessant sein. Bereits auf der vorderen Seite ist das Hochzeitsbild (1922) des jüdischen Ehepaares zu sehen.


 

 

Mit Bezug auf das neue “Shoah Heritage Building“ und andere Projekte von Yad Vashem in Jerusalem berichtet Haaretz in ihrer neuen Ausgabe über die jüdische Familie Weiss, deren Schicksal ich in meinem umfangreichen Buch „Der letzte Judenälteste von Bergen Belsen – Josef Weiss, würdig in einer unwürdigen Umwelt“ bekannt gemacht habe.

Am Beispiel von „Jupp“ Weiss und dem Schicksal seiner Angehörigen stellt die Journalistin Rachel Kaplan dar, dass Yad Vashem „die größte Sammlung von Shoah-bezogenen Gegenständen in der Welt" beherbergt und auch die Heimat der Internationalen Schule für Holocaust-Studien und des Internationalen Instituts für Holocaust-Forschung ist.

Angesichts des Wachstums seiner Sammlungen und Änderungen der Erhaltungsstandards plant Yad Vashem, ein neues, hochmodernes Depot zu errichten, ein Shoah Heritage Building, das eine ordnungsgemäße Lagerung dieser Effekte sowie Laboratorien für „Archivierung und Konservierung“ ermöglicht. Durch ihre ordnungsgemäße Aufbewahrung im Shoah Heritage Building und die entsprechende Anzeige von Yad Vashem werden diese unersetzlichen Sammlungen den Opfern weiterhin ihre Identität zurückgeben. Zukünftige Generationen können somit auch vieles über Menschen wie Josef Weiss und seine Frau Erna geb. Falk erfahren. Auch deren Schicksal ist im Yad Vashem - Archiv gesichert, aber nur als eine Geschichte unter vielen, die dank Yad Vashem, im World Holocaust Remembrance Center, mit Fotos, Tagebüchern und anderen Relikten aufbewahrt ist.

Protagonist des neuen Zeitungsartikels von Rachel Kaplan ist diesmal jedoch nicht unbedingt der berühmte „Judenälteste von Bergen-Belsen“, sondern seine Ehefrau Erna Weiss geb. Falk , die man als bescheidene, aber „starke Frau“ verstehen muss. Die Angehörigen, Yona Weiss und Atara Zachor-Dayan, standen für das Haaretz-Interview zur Verfügung und überließen der Redakteurin auch einige Fotos, die in meinem o.a. Buch „Der letzte Judenälteste von Bergen-Belsen“ (2012) zu finden sind:

Gerne weise ich auf den diesbezüglichen Beitrag hin: „Yad Vashem: The Pieces of the Puzzle”. Er ist im Internet in englischer und in der Übersetzung per Internet-Translator auch in deutscher Sprache abrufbar. Wegen diesbezüglicher Fehler habe ich den Text etwas verändert:

 

Yad Vashem: Teile eines Puzzles
Die Geschichte von Erna Falk Weiss und wie ihr Vermächtnis im Yad Vashem Archive gesichert ist, ist nur eine Geschichte unter vielen, die dank Yad Vashem, im World Holocaust Remembrance Center, aufbewahrt und archiviert ist.

Von Rachel Kaplan

 

„Die Geschichte des Holocaust ist ein riesiges Puzzle mit vielen schwarzen Löchern, die Erinnerungsstücke darstellen", betont Avner Shalev, Yad Vashems Vorsitzender und fügt hinzu: „Wir müssen die restlichen schwarzen Löcher ausfüllen und alle Stücke des Puzzles sammeln. Der geeignete Ort ist Yad Vashem."

Seit mehr als 70 Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges arbeitet Yad Vashem immer noch unermüdlich daran, das Rätsel zu vervollständigen, mit dem Ziel, für die Nachwelt die Erinnerung an die Millionen von Juden zu bewahren, die unter den Nazis ums Leben kamen. Yad Vashems hingebungsvolles Personal arbeitet gegen die Uhr, um Geschichten und Erinnerungen von älteren Überlebenden zu sammeln, bevor es zu spät ist.

Was blieb übrig?

Die Geschichte von Erna Falk Weiss und ihrer Familie ähnelt vielen anderen, die dank „Gathering the Fragments" dokumentiert wurden. Gemeint ist Yad Vashems Programm, das persönliche Gegenstände im Zusammenhang mit dem Holocaust sammelt und dokumentiert.

„Alles begann eines Tages während eines unserer Routine-Sammeltage in einem Altersheim in Jerusalem", erinnert sich Orit Noiman, Leiter des Projekts "Gathering the Fragments". „Einer der Leute, die dort auftauchten, war Yona Weiss, die 1934 in Holland geboren wurde. Sie brachte uns das Tagebuch, das ihre Mutter Helena Soep während ihrer Internierung in Westerbork und Bergen-Belsen geschrieben hatte“.

„Als Yona über das Tagebuch sprach, erkannten wir, dass sie noch weitere Erinnerungsstücke hatte", fährt Noiman fort. „Sie kehrte bald mit Negativen von Fotos zurück, die ihr Vater vor dem 2. Weltkrieg in Amsterdam gemacht hatte. Wir sagten ihr, dass Yad Vashem diese Filme für künftige Generationen bewahren könnte. Yona erinnerte sich dann, dass sie noch etwas anderes hatte - die einzige verbleibende Aufzeichnung ihrer Schwiegermutter Erna Falk Weiss, die in den 1920er Jahren eine erfolgreiche Opernsänger war."

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Erna Falk Weiss und ihre Söhne in Köln (1929)

Yona übergab dem Team von Yad Vashem nicht nur das Fotoalbum von Erna, das sie gescannt hatte, sondern auch eine wertvolle Schallplatte der damaligen Opernsängerin. In Zusammenarbeit mit dem Audioarchiv der Nationalbibliothek konnte Yad Vashem eine qualitativ hochwertige Kopie von Ernas Schallplatte erstellen, die kurz vor dem Passahfest der Familie Weiss vorgestellt wurde. „Yona rief mich nach dem Urlaub an", erinnert sich Noiman, „und erzählte mir von dem emotionalen Sederabend, bei dem die ganze Familie die Stimme von Erna zum ersten Mal hörte. Dann schlug Yona vor, dass wir Atara, Erna's Enkelin, die im Kibbutz Regavim lebt, kontaktieren sollen."

Als das Team von Yad Vashem bei Ataras Haus ankam, brachte Atara eine riesige Kiste voller Erinnerungsstücke der Familie. Diese erwies sich als eine wahre Schatzgrube. Ataras Großvater, Jupp Weiss, war in Bergen-Belsen eine herausragende Persönlichkeit, und die Schachtel enthielt unter anderem eine Liste aller Personen, die im April 1945 ab Bergen-Belsen in dem berüchtigten „Verlorenen Zug" deportiert worden waren. Auch befand sich in der Schachtel Erna's `Show-Tagebuch´, in das sie alle ihre Auftritte als Opernsängerin niedergeschrieben hatte, bis sie 1933 Deutschland in Richtung Amsterdam verließ. Da gibt es auch ein weiteres Foto von Erna, wie sie vor großem Publikum im Lager Westerbork sang.

Atara stimmte zu, die ganze Kiste Yad Vashem zu übergeben, und sagte, dass es ihr ein Gefühl der Vergangenheitsbewältigung gäbe. Als ehrenamtliche Historikerin der Familie besucht sie regelmäßig Schulen und erzählt die Geschichte ihrer Großeltern Erna und Jupp sowie deren beiden Söhne Aharon und Shalom, die auch die Lager überlebt hatten. Aharon war Ataras Vater und verstarb, als sie noch ein junges Mädchen war.

Erna kam übrigens neun Tage nach der Befreiung von Bergen-Belsen um. Ihr Mann Jupp war zu schwach, um an ihrer Beerdigung teilzunehmen. Nach dem Krieg heiratete Jupp erneut. Seine neue Frau, Helena, hatte auch während des Krieges ihren ersten Ehepartner verloren. Yona, die Frau aus dem Seniorenzentrum in Jerusalem, ist Helenas Tochter und deren erstem Ehemann. So unglaublich es klingt, Yona heiratete Shalom, den Sohn von Erna und Jupps, so dass Erna eigentlich die Schwiegermutter und Stiefmutter von Yona gewesen wäre, und Jupp, ihr Stiefvater, war jetzt tatsächlich gleichzeitig auch ihr Schwiegervater (!).

 

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Erna auf dem Titelbild einer deutschen Illustrierten (1930)

Hightech.-Archivarbeit

Yad Vashem ist entschlossen, alle Facetten des Holocaust aufzudecken, und vor allem das Schicksal der Opfer wie Erna und Jupp, gleichzeitig aber auch das aller Überlebenden. Seit Jahrzehnten sammelt Yad Vashem Zeugnisse von den überlebenden Familienmitgliedern oder Videobänder, die Berichte über das, was mit bestimmten Menschen und bestimmten jüdischen Gemeinden passiert ist.

Neben den mündlichen und schriftlichen Zeugnissen hat Yad Vashem auch im Laufe der Jahre persönliche Gegenstände und Dokumente gesammelt, die Juden während des Holocaust gehörten, die das Leben dieser Personen und der jüdischen Gemeinden beleuchten.

Im Jahr 2011 wurde die Kampagne "Gathering the Fragments" gestartet und seitdem werden Augenzeugen oder Familienangehörige verstärkt um ihre Mitarbeit und das Überlassen des persönlichen Besitzes von Holocaust-Opfern gebeten. Da kostbare alte Briefe, Kunstwerke und Fotografien im Laufe der Zeit schnell zerfallen, konzentriert man sich auf die Notwendigkeit, Gegenstände mit anspruchsvoller Technik zu erhalten und bewahren. Bei Yad Vashem gibt es High-Tech-Labore, die sich auf die Erhaltung aller Art von persönlichen Gegenständen spezialisieren, die die Qualität der Objekte stark erhöhen.

Wie andere Überlebende und ihre Familienmitglieder fühlt Yona, dass nur Yad Vashem in der Tat das richtige Archiv für Holocaust-bezogene und derart persönliche Gegenstände ist. Das Personal von Yad Vashem ist sehr einfühlsam und sensibel, erkennt den unwiederbringlichen Wert der Gegenstände und behandelt sie mit viel Respekt und sogar Ehrfurcht.

Pläne für ein Shoah Heritage Building

„Viele Überlebende der ersten Generation erkennen, dass ihr kostbarer Besitz schließlich verloren geht, wenn sie sie nicht Yad Vashem anvertrauen", erklärt Dr. Haim Gertner, Direktor von Yad Vashem's Archives Division. „Wenn sie mehrere Kinder haben, wissen sie nicht, welchen man sie gibt, und die zweite und dritte Generation schätzt nicht immer ihren historischen Wert. Für viele Menschen, die Artikel an Yad Vashem verleihen, gibt sie Schließung."

Eines der Hauptziele von Yad Vashem ist es, möglichst viele Informationen über den Holocaust zugänglich zu machen. Zu diesem Zweck investiert Yad Vashem viel Zeit und Mühe in das Scannen von Materialien, die gesammelt werden. Allmählich kann man sie dann online zugänglich machen. „Die Dokumentation des Holocaust ist für die Welt wichtig und hat moralische Bedeutung", sagt Dr. Gertner.

Bisher wurden über 190 Millionen Seiten Dokumente und eine halbe Million Fotos gesammelt. Yad Vashem nutzt fortschrittliche Technologien und eine Methodik, um den Zugang zu dem Material sowohl online als auch in den Lesesälen von Yad Vashem zu ermöglichen. Yad Vashems Archive ist auch das Repository für mehr als 127.000 mündliche, schriftliche und Video-Zeugnisse, und die Museums-Abteilung beherbergt über 30.000 Artefakte und rund 10.000 Kunstwerke.

„Yad Vashem beherbergt die größte Sammlung von Shoah-bezogenen Gegenständen in der Welt", bestätigt Shalev. Es ist auch die Heimat der Internationalen Schule für Holocaust-Studien und des Internationalen Instituts für Holocaust-Forschung, die als zentraler Ort dient, wo des Holocausts immer gedacht wird und an den sich die Öffentlichkeit zum Zweck der Holocaust-Bildung wenden kann.

Angesichts der immer größer werdenden Sammlungen und Änderungen des Erhaltungsstandards plant Yad Vashem, ein neues, hochmodernes Depot zu errichten, ein „Shoah Heritage Building“, das eine ordnungsgemäße Lagerung dieser Archivunterlagen sowie spezielle Laboratorien ermöglicht . Durch ihre ordnungsgemäße Erhaltung im „Shoah Heritage Building“ und die entsprechende Leistung von Yad Vashem werden diese unersetzlichen Sammlungen den Opfern weiterhin ihre Identität zurückgeben. Künftige Generationen werden in der Lage sein, etwas über Menschen wie Erna Falk Weiss zu erfahren, ihre Gesangskarriere - und Leben - , was durch den Holocaust so rücksichtslos verkürzt wurde.

 

 

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