„Israelis und Palästinenser sind Brudervölker“
(Interview des Euskirchener Journalisten Wolfgang Andres mit der Schriftstellerin Lea Fleischmann zum Krieg im Gaza-Streifen)

In: Euskirchener Wochenspiegel vom 14.01.2009
17.01.2009

Luftangriffe, Artilleriebeschuss, Raketenabschüsse: Krieg im Gaza-Streifen. Wir sprachen dazu mit der deutsch-israelischen Autorin Lea Fleischmann, die noch vor wenigen Wochen auf Einladung des WochenSpiegel zu einer Lesung in Euskirchen war. Sie lebt in Jerusalem.

Fleischmann Vortrag

Lea Fleischmann, hier ein Archivfoto von ihrer Lesung in Euskirchen.
 (WochenSpiegel-Foto: W. Andres)

Frau Fleischmann, seit Kurzem schaut die Welt mit wachsender Sorge auf den Krieg im Gaza-Streifen. Halten Sie diese Reaktion Israels auf den fortwährenden Raketenbeschuss durch die Hamas für angemessen?

Als die israelische Regierung alle jüdischen Siedlungen im Gaza-Streifen auflöste, hofften wir, dass eine neue Ära anbricht. Die Israelis glaubten, die Palästinenser würden ihre Kräfte in den Aufbau ste­cken und wünschten, dass es zu einer Zusammenarbeit zwischen der palästinensischen Bevölkerung in Gaza und uns kommt. Stattdessen hat die Hamas ihre gesamte Energie darauf verwandt, israelische Städte mit Raketen zu beschießen und die israelische Bevölkerung zu terrorisieren. Mit Absicht feuert Hamas die Raketen aus dicht besiedelten Wohngebieten ab, damit bei der Reaktion des israelischen Militärs zivile Opfer getroffen werden. Die Hamas weiß, dass durch diese furchtbaren Bilder der Hass gegen Israel weltweit geschürt wird und setzt das Leiden der eigenen Bevölkerung gezielt für ihre Propaganda ein.

Täglich erreichen uns Bilder und Fernsehberichte von den Opfern, von verletzten und toten palästinensischen Kindern, aber auch von den Zerstörungen in Israel. Führt dieser Krieg nicht nur zu noch mehr Hass und Ver­bitterung auf beiden Seiten?

Jeder bewaffnete Konflikt trägt zur Verbitterung der Bevölkerung bei, aber gleichzeitig wächst der Wunsch nach Frieden und Normalität. Sowohl die Menschen in Israel wie auch in Gaza wollen in Ruhe leben. Wichtig wäre es jetzt, die gemäßigten polischen Kräfte im Gazastreifen, die eine Zusammenarbeit mit Israel anstreben, zu unterstützen.

Wie reagiert die israelische Bevölkerung mehrheitlich auf den Krieg? Welche Reaktionen, welche Stimmungen fangen Sie in Ihrem unmittelbaren Umfeld auf?

Die Situation in den südlichen Städten Israels war acht Jahre lang unerträglich. Der tägliche Rake­tenbeschuss zermürbte die Bevölkerung. Der andauernde Raketenalarm, das minutenschnelle Aufsuchen von den Luftschutzbunkern, die Traumatisierung der Kinder, die mit Schlafstörungen und Bettnässen reagierten, das Scheitern jeglicher diplomatischer Bemühungen, den Rake­tenbeschuss einzustellen, führten zur Forderung sei­tens der israelischen Bevölkerung,' massiv auf die Aggressionen der Hamas zu reagieren. Insofern stehen die Israelis mehrheitlich hinter ihrer Regierung.

Wie sieht der Alltag der Is­raelis gegenwärtig aus? Ist die Angst vor Anschlägen größer als üblich?

Die Angst vor Anschlägen ist nicht größer als sonst, aber die Menschen sind sehr angespannt. Trotzdem geht in den Teilen Israels, die vom Raketenbeschuss verschont sind, das alltägliche Leben seinen gewohnten Gang. In den südlichen Städten, die laufend von den Raketen getroffen werden, gehen die Kinder nicht zur Schule und viele Menschen nicht zur Arbeit.

Welche Lösung sehen Sie für den Nahost-Konflikt? Was muss passieren, damit Palästinenser und Israelis friedlich zusammenleben?

Israel ist eine Demokratie mit einer freien Presse und die Politiker müssen dem Wähler Rechenschaft über ihr Handeln ablegen. Das gleiche muss man für die Palästinenser fordern. Es müssen bei der palästinensischen Bevölkerung demokratische Strukturen gefördert und Gruppen unterstützt werden, die ein friedliches Zusammenleben mit den Israelis befürworten. In einem demokratischen Palästina müsste eine jüdische Minderheit leben dürfen, genauso wie es in Israel eine arabische Minderheit gibt und ich würde mir wünschen, dass in dem palästinensischen Parlament dann auch jü­dische Abgeordnete sitzen, genauso wie im israelischen Parlament arabische Abgeordnete sitzen. Die Israelis und Palästinenser sind Brudervölker, in denen endlich das Brüderliche und nicht das Trennende Oberhand gewinnen muss.

(Interview: W. Andres)

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