Wer sich mit dem Nationalsozialismus und Rassismus, der Ausgrenzung von Minderheiten und der Judenverfolgung befasst, kommt nicht umhin, sich auch mit politischen Gruppierungen oder Menschen zu befassen, die sich auf ihre eigene Art gegen den faschistischen Terror auszudrücken versuchten. Noch vor wenigen Wochen zeigte ich dies am Beispiel der jüdischen Familie Hartog aus dem Raum Aachen oder der jüdischen Familie Apfel aus Münstereifel.
Meine regionalhistorische Homepage hat sich schon mehrmals mit Künstlern befasst, die von den Nationalsozialisten als „entartet“ diskriminiert, boykottiert und verfolgt wurden. Dabei konzentrierte ich mich meistens auf den Raum Bonn-Köln-Aachen. Ich erinnere auch an meinen Beitrag über Otto Pankok oder den zusammenfassenden Bericht über Mathias Barz, den mir Günter Goebbels aus Langenfeld zur Verfügung stellte. Das Schicksal dieser beiden Männer interessierte mich in letzter Zeit besonders.
Aber eigentlich ergaben sich diesbezügliche Artikel nur aus meinen speziellen Forschungen zum Thema Judentum und Holocaust. Und auch so ist es zu verstehen, warum ich mich heute mit dem Maler Heinrich Seepolt (1903-1989) befasse, der - wie inzwischen der von Yad Vashem gewürdigte Dechant Joseph Emonds - in Kirchheim wohnte und als bescheidener, aber dennoch aktiver Pazifist zu bewerten ist. Bei beiden, wie auch bei vielen anderen Persönlichkeiten, war wahrscheinlich eine „linke“ oder kommunistische Haltung motivierend, nicht selten aber auch zusätzlich ein christlicher sowie künstlerischer Ausdrucks- und trotziger Gestaltungswille.
Als Sohn eines Dekorationsmalers wurde Heinrich Seepolt am 26. September 1903 in Duisburg geboren. Er war Maler und Graphiker, ließ sich ab 1920 an der Kunstgewerbeschule Essen ausbilden und studierte von 1926 bis 1931 an der Kunstakademie Düsseldorf. Als Meisterschüler von Paul Klee entwickelte er einen persönlichen Stil, den er in der Nachkriegszeit in Kirchheim bei Euskirchen fachlich und mit persönlichen Akzenten weiter entwickelte.
Heinrich Seepolt gehörte zu den Künstlern, die man wegen ihrer pazifistischen und stilistischen Aussagen im Dritten Reich als „entartet“ boykottierte, zumal er mit einer halbjüdischen Pianistin verheiratet war. Wenn er auch nicht im Internet ausdrücklich als prominentes Mitglied der Assoziation Revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands (ASSO) hervorgehoben wird, so gehörte er doch seit etwa 1930 zu dieser Vereinigung kommunistischer Künstler, die im März 1928 gegründet wurde. Auf ihrem Berliner Kongress im November 1931 wurde der Name in „Bund revolutionärer bildender Künstler Deutschlands“ geändert und dann schließlich als BRBKD 1933 verboten.
Die Beilage DGA Hamborn vom 4. Mai 1932 machte auf die Duisburger Kunstszene aufmerksam, in der Heinrich Seepolt schon eine gewisse Rolle spielte. Wenn auch in bescheidenem Ausmaß, so etablierte doch Duisburg so etwas wie einen „Malkasten“. In der Lessingstraße 2, im alten Polizeipräsidium, hatte die Stadt sechs einheimischen Künstlern einige – allerdings recht ramponierte - Räume zu Atelierzwecken zur Verfügung gestellt.
Ein diesbezügliches Foto dürfte nicht uninteressant sein, denn es zeigt von links nach rechts den Graphiker Heinz Kiwitz (1910-1938), die Kunstmaler Görtz-Moldrix, Heinrich Seepolt (Mitte) und Volkram Anton Scharf (1906-1987). Dies beweist, in welcher Umgebung sich Seepolt damals bewegte. Besonders der antifaschistische Holzschneider Heinz Kiwitz wurde später von den Nazis verfolgt und in zwei Konzentrationslager verbracht, ehe ihm 1937 mit Hilfe des Verlegers Rowohlt die Flucht nach Kopenhagen gelang. Später ging er nach Paris ins Exil, wo Arbeiten für die Emigrantenpresse entstanden.
Am 27. August 1937 wurde Kiwitz' „Absage eines deutschen Künstlers an Hitler“ in einer Pariser Tageszeitung veröffentlicht. Einen entsprechenden Holzschnitt findet man in der Pariser Tageszeitung, 2. Jg., vom 27. August 1937, Nr. 440. In der französischen Hauptstadt wurde er ein wichtiges Mitglied des freien Künstlerbundes. Ein Jahr später ging Heinz Kiwitz nach Spanien und kämpfte dort mit der Internationalen Brigade gegen das Franco-Regime. Er starb im spanischen Bürgerkrieg.
Die Tatsache, dass sein Kollege Heinrich Seepolt 1931 in Duisburg Mitglied der ASSO war, hatte zur Folge, dass auch ihn nach der „Machtergreifung“ die Nationalsozialisten verfolgten und aus der „nazistischen Kulturpolitik ausgrenzten“. Und nachdem erstmals im Jahre 1937 eins seiner Werke aus einem Museum entfernt wurde, lebte er wegen drohender Verhaftung im Untergrund.
Aufgrund schrecklicher Erfahrungen hielt er sich nach dem 2. Weltkrieg von typisch provokanten Darstellungen zurück und drückte sein Schaffen in Werken aus, die christlich und pazifistisch orientiert waren. Da er ab 1950 mit seiner Familie verarmt in Kirchheim wohnte, fand er in dem dort wirkenden Dechant Joseph Emonds einen Freund, der anfangs nicht nur seine Familie mit Kleidung und Nahrung unterstützte, sondern sich auch als „Freund im Geiste und der Gesinnung“ zeigte. Beide Männer gehörten seit den 1950er Jahren – in verschiedenen Positionen – zur neu entstandenen Friedensbewegung.
Rolf Seepolt, Sohn des Künstlers und selber Maler, lebt heute immer noch im Euskirchener Stadtteil Kirchheim. Aus gegebenem Anlass erklärte er mir den Bezug seines Vaters zu
Dechant Joseph Emonds, der im 3. Reich als Judenretter und in der Nachkriegszeit als Pazifist bedeutsam wurde. Mein Foto zeigt ihn mit seinem Holzstich „Ego Miles Christi“, der für mehrere Veranstaltungen der Friedensbewegung als Logo diente und recht bekannt wurde.
Holzstiche und Kirchenfenster als Ausdruck pazifistischer Gesinnung
Als der evangelische Kirchenpräsident Martin Niemöller (1892-1984) am 9. November 1955 von einer Predigt- und Vortragsreise durch die USA nach Hause zurückkehrte, fand er ein Geschenk vor, das ihn auch indirekt mit einem ihm bisher unbekannten katholischen Geistlichen aus der Voreifel in Kontakt brachte: Joseph Emonds.
Das Geschenk stammte von dem ebenfalls in Kirchheim wohnenden Künstler Heinrich Seepolt (1903 -1989), der vier Wochen vorher anlässlich des Martinustages den ersten Handabzug seines Holzschnittes „Ego miles Christi“ nach Wiesbaden geschickt hatte. In seinem Begleitschreiben bezog er sich auf eine Stelle bei Sulpicius Severus (363-425 n. Chr.), nach der im Jahre 341 der römische Soldat Martinus künftig den Kriegsdienst verweigern wollte. Als „Soldat Christi“ sei es ihm nicht mehr gestattet, in den Kampf zu ziehen, stattdessen wäre dem Kampf für den Frieden verpflichtet.
Heinrich Seepolt, der durch die Kulturpolitik der Nationalsozialisten ausgegrenzt worden war und in dieser Zeit auch mit Otto Pankok oder dem befreundeten Heinz Kiwitz (1910-1938) als „entarteter Künstler“ galt, hatte den Holzstich auf Anregung von Dechant Emonds hergestellt, der ihn schließlich auch im Jahre 1972 mit dem Entwurf des gleichnamigen Glasfensters in der St. Martinus Kirche in Kirchheim beauftragt hatte. Heinrich Seepolt und Joseph Emonds waren sich - nicht nur aufgrund ihrer recht unterschiedlichen Erlebnisse im Dritten Reich – in einem einig: Nie wieder Krieg! Der Heilige Martinus war ihr Leitbild.
Martin Niemöller, der zu Beginn des Dritten Reiches als evangelischer Theologe ein führender Vertreter der Bekennenden Kirche war und den die Nazis als Widerstandskämpfer zuerst im Konzentrationslager Sachsenhausen und dann von 1941 bis 1945 in Dachau inhaftierten, verstand die Aussage des Holzschnittes richtig, denn es ging hier um einen Protest gegen den wieder entstehenden Militarismus und geplanten Waffendienst sowie den beispielhaften Kampf dagegen - mit Hilfe des Aufrufs zum „Ego Miles Christi“. Am 10. Dezember 1955 dankte der Kirchenpräsident dem christlichen Künstler Heinrich Seepolt und schrieb am Schluss seines Briefes:
„.... Während meiner Amerikafahrt hat mich immer wieder das Wort bewegt: `Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen!´ Im griechischen Text heißt es: `Sie werden die Erde ererben´. Und das ist es ja auch, was Sie mit Ihrem Bild und Holzstich zum Ausdruck gebracht haben und das im Licht des Kreuzes offenbar wird...“ .
Künftig gehörte die künstlerische Aussage des Kirchheimer Künstlers Seepolt zu einem der bekannten Wahrzeichen der neuen Friedensbewegung, die seit der Aufrüstung der Vertragsstaaten von NATO und Warschauer Pakt mit Atomwaffen in den 1950er Jahren ständig wuchs und sich nicht nur in den immer noch bekannten „Ostermärschen“ eine jährliche Demonstrationsform schuf.
Erst nach dem Tod von Joseph Emonds und Heinrich Seebolt entwickelte sich die Friedensbewegung in einigen westlichen Staaten wegen der neuen Aufrüstungsschritte und -pläne der NATO zu einer breiten, länderübergreifenden und auf Zustimmung großer Bevölkerungsteile gestützten Friedensbewegung, die als Nahziel die im NATO-Doppelbeschluss angekündigte Raketenstationierung verhindern, mittelfristig andere Sicherheitskonzepte und langfristig vollständige atomare Abrüstung durchsetzen wollte.
Heinrich Seebolt befasste sich besonders in den Jahren vor seinem Tode mit religiös motivierten Arbeiten, zu denen ihn Dechant Emonds immer in langen Gesprächen anregte. Aber man findet schon frühere Spuren - besonders in Kirchheim - dieser „religiösen und pazifistischen Kooperation“. In der dreischiffigen, aus Backstein erbauten Kirche St. Martinus sind an den beiden Tympana der Seitenportale Mosaikdarstellungen zu sehen, die der Künstler Heinrich Seepolt bereits Mitte der 1950er Jahre geschaffen hat. Sie zeigen den Brennenden Dornenbusch sowie das Lamm Gottes. Das bereits erwähnte Bleiglasfenster „Ego Miles Christi“, das sich als Chorfenster rechts vom Eingang im Seitenschiff der Kirche St. Martinus befindet, wirkt recht modern. Als inzwischen recht bekanntes Miles-Christianus-Fenster war es von Heinrich Seepolt entworfen und im Jahre 1972 in der Glasmalerei Oidtmann in Linnich geschaffen worden. Es ist - wie auch andere Glasmalereien- im Internet zu sehen.
Da sich die Artikel meiner regionalhistorischen Website hauptsächlich mit dem Judentum und Holocaust befassen, soll zum Schluss noch auf einen wichtigen Sachverhalt hingewiesen werden. Der katholische Geistliche Dechant Emonds und der Künstler Heinrich Seepolt befassten sich in ihren nächtlichen Diskussionen oft mit „Märtyrern in der Zeit des Nationalsozialismus“. Beide Männer wollten exemplarisch in der Kirchheimer Kirche St. Martinus an den 1971 selig gesprochenen Maximilian Kolbe (1894-1941) erinnern. Es war an ein „Kolbe-Bleifenster“ gedacht, das im Zusammenhang mit dem Holocaust und Auschwitz interpretiert werden sollte. Es sei ergänzt, dass im Jahre 1941 dieser polnischer Franziskaner-Minorit, Verleger und Publizist von den Deutschen verhaftet und nach Auschwitz deportiert worden war, wo er für einen Mithäftling in den Hungerbunker ging. Am 10. Oktober 1982 wurde er von Johannes Paul II. heilig gesprochen.
Im Februar 1975 verstarb Dechant Emonds, der ein guter Freund und christlicher Ratgeber von Heinrich Seepolt war. So kam es nicht mehr zur Verwirklichung dieses vielleicht bedeutsamen Projektes. Es blieb nur bei einem Entwurf, von dem mir, dem Verfasser dieser Zeilen, zwei originale Skizzen des Künstlers vorliegen.
Das „Kolbe-Fenster von Kirchheim“ hätte nicht nur als „historischer Rückblick“ zur Besinnung aufgerufen, sondern wäre auch indirekt ein künstlerischer Hinweis auf die Anfänge der westdeutschen Friedensbewegung gewesen, an der - in angemessenem Rahmen - auch Heinrich Seebolt Anteil und eine persönliche Ausdrucksmöglichkeit gehabt hätte. So bleibt mit dem Holzschnitt und Kirchenfenster „Miles Christi“ eine Metapher, die weiterhin ein Friedenszeichen ist und bei allen rivalisierenden Gemeinschaften und Konfessionen weitere Ausformungen ermöglicht.