Ansprache von Hans-Dieter Arntz anlässlich der Einweihung des Gedenksteines für jüdische Verfolgte in Mechernich am 10. November 1988
„Mit Betroffenheit stehen wir heute an der Stelle, an der bis zum 10. November 1938 die Synagoge der Mechernicher Juden stand. Wenn auch nie ein Rabbiner hier wirkte und die Juden selber der Gemeinde Gemünd-Schleiden unterstanden, so war doch hier ein Zentrum eigenständiger Aktivität und religiöser Besinnung. Nachdem zweimal innerhalb von 10 Jahren der jüdische Friedhof zerstört und geschändet worden war, wurde auch die hiesige Synagoge - fast symptomatisch für den Zustand der religiösen Gemeinde - baulich vernachlässigt. Mit dem Brand anlässlich des sogenannten Novemberpogroms, der „Reichskristallnacht", erhielt die jüdische Gemeinde von Mechernich auch äußerlich ihren Todesstoß.
Gut 50 Jahre lang hatte die Mechernicher Bevölkerung dieses jüdische Gotteshaus respektiert. Bereits seit dem 17. Jahrhundert lebten hier Juden friedlich mit den christlichen Bürgern zusammen. Sie konnten ihre Anzahl auf rund 80 bis 90 Seelen stetig halten. All das änderte sich schlagartig mit der sogenannten „Machtergreifung" durch die Nationalsozialisten. Es darf an dieser Stelle nicht verheimlicht werden, dass es gerade in einer ländlichen Gegend schmerzlich für Juden sein musste, wenn über Nacht ein ehemaliger Klassenkamerad, Nachbar oder Geschäftspartner seine neue Gesinnung offenbarte. Auf dem Lande und in den kleinen Städten kannte damals jeder jeden, sodass die menschliche Dimension hier besonders spürbar wurde.
Umgekehrt jedoch erinnern sich auch heute noch zum Beispiel Angehörige der Familie Heumann derjenigen, die sich zumindest bemühten, in schwerer Zeit zu helfen oder Menschlichkeit zu wahren. Das waren nicht viele, aber es gab sie.
Mit diesem Mahnmal wollen Sie, meine Damen und Herren, nicht nur der Toten gedenken, sondern eine Mahnung aussprechen, damit sich Rassendiskriminierung und Verfolgung von Minderheiten nie wiederholt!
Selbst derjenige, der zurzeit von den Medien mit dem überflutet wird, was wir mit „Aufarbeitung unserer jüngsten Geschichte" bezeichnen, kann sich wohl kaum der augenblicklichen Stimmung entziehen. Aber Ihre Anwesenheit, meine Damen und Herren, ist etwas Besonderes und widerlegt all die ewig Gestrigen, die Geschehenes vergessen oder verdrängen wollen. Umgekehrt jedoch scheint mir, dass wir Deutschen jede Sache besonders gründlich machen. Das offenbart sich nicht nur in der Gründlichkeit bezüglich der Vernichtung unserer ehemaligen jüdischen Mitbürger, sondern auch in der Quantität der vielen Gedenkfeiern, mit der man wahrscheinlich viele übersättigt. Hätte man vor 50 Jahren nur einen Bruchteil der heutigen Aktivitäten kanalisiert und - zumindest im privaten Bereich - Juden geholfen, dann wäre 1938 manches anders gelaufen.
Auch der späte Termin zur Einweihung eines Mahnmals wirft Fragen auf. Immerhin wurden seit etwa 8 Jahren diesbezügliche Wünsche geäußert, nicht zuletzt von der Jüdin Emmy Golding geb. Kaufmann aus Kommern. Aus finanziellen Gründen wurden solche Wünsche abgeschlagen.
Geldmangel darf nie ein Argument sein, wenn man in einer sensiblen Zeit ehemals jüdischen Mitbürgern das Recht verweigert, dass sich die Nachwelt ihrer Existenz erinnert. Die Bürger von Mechernich folgen nun dem Beispiel vieler Städte und Gemeinden, spät, fast zu spät - zur medienträchtigen Zeit des 10. November - ein Mahnmal einzuweihen. Man muss sich dann aber die Frage gefallen lassen: warum erst jetzt? Das benachbarte Dörfchen Kommern bewies vor Jahren, dass auch Bürger und Vereine selbstständig tätig werden konnten.
Die Mechernicher Synagoge in der Rathergasse wurde 1883 erbaut und bestand bis zum 10.November 1938. Seit bereits 1930 fehlten die Mittel, sie zu renovieren. Schon 1927 regnete es gelegentlich durch das Dach. Der sogenannte „Erläuterungsbericht über eventuelle Instandsetzungsarbeiten" vom 25.November 1930 hält fest: „Das kleine Gotteshaus ist wegen Mangel an Mittel im Inneren sehr verwahrlost." Dass diese Begutachtung später von den fanatischen Nationalsozialisten inhaltlich auf die Gemeinde und die jüdischen Bürger von Mechernich übertragen wurde, ist schändlich!
Insofern, meine Damen und Herren, war das kleine Gebetshaus bereits ein Mahnmal!
Das griechische Wort „Synagoge" gibt sinngemäß den hebräischen Ausdruck „Haus der Versammlung" wieder. Und dieser Begriff bringt genau das zum Ausdruck, was sie auch in Mechernich war.
Nach der Zerstörung am 10.November 1938 - also genau vor 50 Jahren - gab es keinen Grund mehr zur Versammlung. Viele zogen weg, flüchteten ins Ausland oder verharrten in Apathie, wartend auf das, was im Juni/Juli 1942 schreckliche Wirklichkeit wurde. Mindestens 27 Opfer gehören zu den letzten jüdischen Mitbürgern, die von Mechernich aus in den Holocaust deportiert wurden. Besonders ihnen gilt unser heutiges Gedenken. An dieser Stätte, hier am Mahnmal, soll abschließend ihrer noch einmal laut gedacht werden. 19 42 wurden von Mechernich aus deportiert und in die großdeutsche Vernichtungsmaschinerie geschickt: (…)“
(….Es folgt die namentliche Nennung)
Zeitungsartikel des Kölner Stadt-Anzeigers, Lokalteil Eifeler Land,
vom 12./13.November 1988:
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