Ein Überlebender von Bergen-Belsen tröstet den jüdischen Hinterbliebenen Fritz Heymann aus Euskirchen

von Hans-Dieter Arntz
09.09.2015

Es gibt nicht viele wissenschaftliche Werke, die sich mit der psychischen Verfassung der ehemaligen Holocaust-Opfer – sogenannte „Survivors“ - und der Wiederherstellung des Grundgefühls von persönlicher Sicherheit befassen. Die ersten Monate in Freiheit galten gleichzeitig nicht nur der Auseinandersetzung mit dem Schrecklichen, sondern zusätzlich auch der Neuorientierung und dem Versuch, das Trauma der Vergangenheit irgendwie aufzuarbeiten. Die jeweilige Stimmung wird bereits aus den ersten Briefen nach dem Holocaust erkennbar.

Auch dem aus Euskirchen stammenden Dr. Moritz Schweizer (* 13.08.1900 Euskirchen, † 16.11.1982 USA), der in der Zeit 1943-1945 Westerbork und Bergen-Belsen überlebt hatte, war es unbedingt wichtig, wieder in den Alltag zurückzukehren.

testEs fällt heute schwer, diesen Prozess, den Tausende und Millionen von Faschismusopfern zu bewältigen hatten, selber psychisch nachzuvollziehen. Kann man so ein Geschehen überhaupt verarbeiten? Werden sich die Menschen, die Bergen-Belsen inmitten der Leichenberge überlebt haben, überhaupt jemals von ihren Erinnerungen freimachen können? Ermutigen sie andere Überlebende, informieren sie taktvoll oder apathisch?

Hunderte von diesbezüglichen Briefen lagen mir in den letzten Jahren vor. Sie müssten eigentlich alle veröffentlicht werden, weil das jeweilige Psychogramm jeglichen Rahmen sprengt. Aber es gibt offenbar „ ein Leben danach“.

Meinem Online-Artikel über die Flucht des ebenfalls aus Euskirchen stammenden „Fritz“ Heymann nach Australien war bereits zu entnehmen, dass „Frank“ Heymann seine Eltern im Holocaust verloren hatte. Nachdem ihr Sohn Ende 1945 erfahren hatte, dass sein ehemaliger Nachbar Dr. Moritz Schweizer, der vor dem 2. Weltkrieg Syndikus-Geschäftsführer der Synagogengemeinde Essen gewesen war, überlebt hatte, wandte er sich von Australien aus voller Verzweiflung an ihn und bat um jegliche Auskunft.

 

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Der um 22 Jahre ältere Moritz Schweizer formulierte seine Antwort und diesbezüglichen Gedanken in einem Brief vom 21. Mai 1946. Während ich an dieser Stelle sehr persönliche Details bewusst auslasse, – vgl. aber der Vollständigkeit halber „JUDAICA- Juden in der Voreifel“, S. 488 – zitiere ich jetzt an dieser Stelle nur die Passagen aus meinem letzten Buch „Der letzte Judenälteste von Bergen-Belsen“, S.593/94:

Moritz Schweizer beschreibt und analysiert ungewöhnlich realistisch die neue Situation, die sicher dem erst 24jährigen Frank Heymann hart erschienen sein mögen:

 

test„(...) Ist es möglich, die Heimat mit all ihren Menschen zu vergessen? Denkt man nicht bei so vielen Gelegenheiten fast täglich zurück? Möchte man das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen und nicht noch einmal das Schöne jener Zeit erleben? Träume, nichts als Träume! Das Schicksal ist hart und lässt so etwas nicht zu! Vielleicht ist es gut so. Aber die Erinnerung bleibt, und sie lässt noch ihren Glanz über all dem aus jener Zeit ausgebreitet, sodass man stets wirklich nur das Schöne `nacherlebt´. So wird es Dir auch ergehen bei Deinem Gedanken an `zu Hause´ und an Deine lieben Eltern, die ja auch zu meinem engen Freundeskreis und dem meines Elternhauses gehörten.

Leider besteht auch nicht ein Fünkchen Hoffnung, dass sie noch am Leben sind. Sie sind mit den anderen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Euskirchen nach Polen transportiert worden, und wenn sie nicht direkt in den Gasofen gegangen sind – noch die beste Möglichkeit, derweil das Leiden sehr kurz war –, dann sind sie mit den Millionen irgendwo im Osten umgekommen. Wie das war, davon kann sich die Welt keinen Begriff machen...

( ...) Ich habe es auch miterlebt (...). Das ist die nackte, traurige Nachricht, die ich Dir mitteilen muss. Finde Trost in dem Bewusstsein, dass Du einer der vielen Leidtragenden in dem Leid der Millionen bist (...). Ich beabsichtige, zu meinen Geschwistern nach USA zu gehen, wohin auch mein Schwager aus Paris noch `could escape´. Er ist im Augenblick in Paris, und ich werde ihn in der nächsten Zeit sehen (...).

(...) Unbekannterweise Grüße an Deine Frau. Ist die auch von `German origin´?“

Für heute mit dem Wunsche für alles Gute
 und mit herzlichen Grüßen bin ich


Dein Moritz Schweizer

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