Die jüdischen Friedhöfe von Weilerswist: Groß-Vernich und Lommersum

von Hans-Dieter Arntz
07.09.2012

Die heutige Gemeinde Weilerswist besitzt zwei jüdische Friedhöfe, in Groß-Vernich und in Lommersum. In meinen NEWS vom 30. April und 9. Juni 2008 hatte ich sie den Lesern meiner regionalhistorischen Homepage vorgestellt.

Ich erinnerte mich jetzt an beide Beiträge, weil neulich die Euskirchener Tagespresse über einige lobenswerte Aktivitäten jugendlicher Fußballer hinwies, die den jüdischen Friedhof von Lommersum gepflegt und sich mit dieser Aktivität am Wettbewerb „Football Kids for Nature“ beteiligt hatten. Es ist davon auszugehen, dass die Jugend des SSV Lommersum dies wahrscheinlich auch sonst getan hätte, denn auf dem Friedhof – der in einem Fichtenwäldchen, in unmittelbarer des Fußballplatzes gelegen ist -, wurde auch der jüdische Gründer ihres Vereins, Hermann Kain (* 1864, † 1918) kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges beerdigt.

Der jüdische Friedhof von Lommersum, an dessen Eingang sich ein Gedenkstein „Zur Erinnerung an unsere jüdischen Mitbürger“ befindet, machte bis zum Juli 2012 keinen gepflegten Eindruck, konnte aber jetzt von ca. 40 Kindern und Jugendlichen, unterstützt von einigen Eltern und Betreuern, von Unkraut, Wildwuchs und Müll befreit werden. Zudem wurden die erhalten gebliebenen Grabstätten gereinigt und freigelegt. Auch der rostige Stacheldraht, mit dem der Friedhof umgeben war, wurde mühsam entfernt. Im Jahre 1990 war hier noch eine dichte Taxushecke zu sehen. Dieter Peters, der seit 1994 als Friedhofsbeauftragter des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein fungiert, war persönlich anwesend und teilte mir mit:

Eisessen „Der Landesverband hat als Dankeschön alle Beteiligten nach Euskirchen zum Eisessen eingeladen. Dabei waren auch die Damen Kürten und Siebert, die Herausgeberinnen des Buches "Vergangenheit unvergessen...", die jedem ein Exemplar schenkten.

Mit einigen Vertretern des Fußballvereins und der Gemeinde Weilerswist wurde vor Ort über die nötigen und durch die Jugendlichen machbaren Arbeiten gesprochen. So war es z.B. für alle wichtig, dass der alte Stacheldrahtzaun, der ja bei jüdischen Menschen ganz schlimme Erinnerungen weckt, entfernt und durch eine Hecke ersetzt wird. Die Grabsteine wurden mit Wurzelbürste und Wasser gereinigt. Die noch vorhandenen Grabeinfassungen werden demnächst mit Kieselsteinen gefüllt. Es ist keine einmalige Aktion, sondern der Fußballverein mit seinen Jugendlichen und Betreuern will sich nun regelmäßig um den einsamen jüdischen Friedhof kümmern.

In diesem Zusammenhang möchte ich erneut auf die verdienstvolle Arbeit von Helene Kürten und Margarete Siebert hinweisen, die in der von Peters genannten Dokumentation die Grabsteine beider Judenfriedhöfe genau verzeichnet haben. Die Nachwuchskicker des SSV Lommersum, unter denen sich auch muslimische Jugendliche befanden, reinigten folgende Grabsteine ihrer Ortschaft (S. 236-238):

 

Eisessen1. Magdalena (Josephina) Natus geb. Wallach (1792/1793 (?) - 1872)
 Samuel Natus, vor 1808 Shmuel Nathan (1776/1777 (?) – 1860)
 2. Sibilla Stock geb. Israel (1821- 1870)
 3. Joseph Stock ( 1793/1794 (?) - 1870)
 4. Eva /Evy) Stock geb. Meyer/Meyers (1793/1794 (?) - 1878)
 5. Seligmann Stock (1827 -1899)
 6. Esther Stock geb. Herz (1833 - 1903)
7.Johanna Stock (1857 - 1909)
 8. Bertha Stock geb. Cahn/Kahn (1875 - 1910)
 9. Moses Stock (1864 - 1915)
10. Helena Stock geb. Seligmann ( 1829 - 1916)
11. Helena Kain geb. Levy (1859 – 1927)
 Hermann Kain (1864 – 1918)
12. Nathan Stock (1825 – 1920)
13. Paula Stock (1901 – 1922)
14. Unbekannt
15. Abraham Stock (1851 – 1925)
16. Eva Stock geb. Ganz (1863 – 1924)
 Michael Stock (1860 – 1930)

Wer sich künftig den „Guten Ort“ von Lommersum einmal ansehen möchte, sollte dem Pfad am Sportplatz zum Lohgraben (Flur 22, Nr. 187) folgen. Der kleine, rechteckige, am Hang gelegene jüdische Begräbnisplatz soll angeblich seit dem Jahre 1661 bestehen. Eine Erweiterung wurde 1881 durch eine Schenkung der Zivilgemeinde ermöglicht. Alle Grabsteine stammen aus der Zeit 1860 bis 1927.

Es folgen nun die beiden Online-Beiträge, die ich im Jahre 2008 in meinen NEWS erscheinen ließ:

 

09.06.2008

Besuch des jüdischen Friedhofs in Lommersum

Es gibt verschiedene Strömungen und Entwicklungen, die auf ein Fortleben des alten oder eine Wiederbelebung des neuen Antisemitismus hinweisen. Erstmals hatte Adolf Diamant aus Frankfurt im Jahre 1982 am Beispiel seiner Dokumentation „Jüdische Friedhöfe in Deutschland – Eine Bestandsaufnahme“ auf diese Variante des Rassismus hingewiesen: Aggression in Form von Zerstörungen auf jüdischen Friedhöfen. Detaillierte Belege liefert er in der Anlage „Geschändete jüdische Friedhöfe in Deutschlands 1945-1980“ in Form einer diesbezüglichen Bestandsaufnahme, an der ich damals für den Kreis Euskirchen mitarbeiten konnte. Bis zum Jahre 1982 lässt sich nur einmal eine „Schändung“ im Kreis Euskirchen nachweisen. Die Unterlagen des Innenministeriums (BRD) aus dem Jahre 1964 belegen dies für den jüdischen Friedhof von Lommersum, Am Lohgraben (Flur 22, Nr. 187), wo „einige Grabsteine umgeworfen“ wurden (1963). Da es aber auch andere Gründe für diesen einmaligen Vorfall in der Gemeinde Weilerswist geben kann, sollte man schlussfolgern, dass es seit dem Dritten Reich in dieser Hinsicht keinen Antisemitismus in der Voreifel gegeben hat!
Ansonsten ist der kleine jüdische Friedhof von Lommersum unauffällig und liegt versteckt in einem kleinen Waldstück. Nach Elfi Pracht (Jüdisches Kulturerbe, Köln 1997, S.384) soll er seit 1661 bestehen. Wegen des zerstörten Zaunes ist er jederzeit zugänglich, was sich vielleicht etwas auf den jetzigen Zustand auswirkt. Nach einer Studie von Bondy, abgedruckt in der Schrift „Vergangenheit unvergessen“ von Margarete Fiedler und Helene Kürten (1988), ist das älteste Epitaph aus dem Jahre 1860. Die Autorinnen haben alle Grabsteine abgebildet und die hebräischen Texte übersetzen lassen. Heute sind noch 16 Grabsteine vorhanden, zwei davon haben keine Inschriften mehr. Nahe am Eingang erinnert ein Grabstein an die Juden von Lommersum.

Nach Klaus H.S. Schulte war 1794 „der arme Jüngling“ Shmuel Nathan der einzige Jude in dem Dörfchen Lommersum. 1860 starb er als Samuel Natus I. Nach dem Epitaph des zu seinen Ehren errichteten Grabsteins war er, Sohn des Nathan Abraham zu Großbüllesheim, „ein gerechter, ehrlicher und aufrichtiger Mann“. Für Genealogen ist interessant, dass seine Ehefrau Magdalene bath Moyses war, die aus der später berühmten Familie Wallach stammte. Sie starb am 24. Adar alef des Jahres 652, also im Jahre 1892 und liegt im Doppelgrab neben ihrem Ehemann. Wie bereits auf dem jüdischen Friedhof des benachbarten Groß-Vernich – Vgl. meine NEWS vom 30. April – so liegt auch „auf dem guten Ort“ von Lommersum ein in der Gemeinschaft beliebter Schützenkönig, nämlich Abraham Stock (1879).

 

30.04.2008

Auf dem jüdischen Friedhof von Groß-Vernich (Weilerswist)

Unter Chewra Kaddischa versteht man eine „Beerdigungsbruderschaft“, die in allen jüdischen Gemeinden besteht. Diese Vereinigung ist nicht nur für die Fürsorge in Krankheits- und Todesfällen zuständig, sondern auch für die Leichenbestattung und die Erhaltung des Friedhofs. In der Voreifel und Eifel gibt es solche Einrichtungen nicht mehr, so dass die jeweilige Stadt- oder Gemeindeverwaltung eine entsprechende Verpflichtung hat. Lobenswert ist es, wenn sich Privatpersonen oder Vereine für die Ehrung der jüdischen Toten einsetzen.

In diesem Zusammenhang soll auf den jüdischen Friedhof Groß-Vernich hingewiesen werden, der mit dem Waldfriedhof von Lommersum zur Gemeinde Weilerswist gehört. Hier gibt es seit 2006 einen Grabstein für den ehemaligen jüdischen Mitbürger Michel Marx (1860-1937), der von folgenden Männern in Auftrag gegeben wurde: Heimatforscher Hermann Außem, Hans Heskamp, Standesbeamter Heinz Höver, Arnold Mauel (Dorfverschönerungsverein) und Christian Esser (Gemeindeverwaltung). Der Grabstein ist aus rotem Sandstein und wurde von dem Euskirchener Steinmetz Volker Marx gestaltet. Dessen Euskirchener Familie hatte in der Zeit des Nationalsozialismus selber unter der rassistischen Verfolgung zu leiden gehabt.

Nicht nur die Kontaktaufnahme mit Volker Marx bewies ein „besonderes Fingerspitzengefühl“, sondern auch die eingemeißelte Inschrift, die nationale und regionale Verbundenheit zur Heimat ausdrückt. Der am 6. Oktober 1860 geborene „Michel“ Marx, Groß-Vernich, Hauptstraße 144 - heute Trierer Straße 57- hieß eigentlich MICHAEL. Bis zur so genannten Machtergreifung hatte er dort ein Manufakturengeschäft und handelte mit Fellen und Ziegen. Im Voreifeler Platt war sein Spitzname „Zeckel“ oder „Michel“. Letztere Bezeichnung entsprach der damaligen deutschnationalen Gesinnung. Der Hinweis auf die Tatsache, dass Michael Marx im Jahre 1908 Schützenkönig des kleinen Dorfes war, unterstrich die Zugehörigkeit des jüdischen Mitbürgers zur Heimat und seine Integration in die Gemeinschaft. Dies wollten die genannten Iniatoren wohl besonders hervorheben.

Eisessen Am 27. November 1937 wurde Michael Marx als letzter vor dem Holocaust in Groß-Vernich beerdigt. Einheimische erinnern sich heute noch an die Belästigung der Trauernden durch die nationalsozialistischen Machthaber. Einen Grabstein oder Grabschmuck ließ die NSDAP-Ortsgruppe Weilerswist nicht zu. Dies holten im Frühjahr 2006 engagierte Weilerswister Bürger nach. Der Journalist Bernd Zimmermann von der Kölnischen Rundschau, Lokalteil Euskirchen, fasste in einem Beitrag vom 5. April 2006 seinen persönlichen Eindruck zusammen:

„Doch der rührige Vernicher Heimatforscher Hermann Außem und der Vorsitzende des Dorfverschönerungsvereins Arnold Mauel, erforschten jetzt die Geschichte des Verstorbenen. Außem erinnerte sich noch genau, wo einst Marx beerdigt wurde. Und gemeinsam mit dem Weilerswister Standesbeamten Heinz Höver stimmten sie nun mit der Synagogengemeinde zu Köln ab, dass man Michel Marx nun einen Grabstein setzen könne. Der kleine jüdische Friedhof wird übrigens vom Dorfverschönerungsverein gepflegt. Die Weilerswister Gesamtschule hat ein patenschaftsähnliches Verhältnis zu dem Friedhof von Groß-Vernich.“

 

« zurück zum Seitenanfang