Auf den letzten Spuren jüdischen Betens in der Voreifel
Die vergessenen Landsynagogen von Lommersum und Sinzenich

von Hans-Dieter Arntz
Quelle: Jahrbuch des Kreises Euskirchen 2012, S. 37 – 42
24.12.2011

Beten ist in allen Religionen eine besondere Ausdrucksform des Glaubens, der rituellen Zuwendung und auch der vorherrschenden Kultur. Meist wird man hierzu vom Elternhaus und den Sozialisationsinstanzen geführt. Im Umkreis der zugehörigen Gemeinde und im jeweiligen Gotteshaus schematisiert sich die Form des Betens, und der Gläubige richtet später seine Glaubensausübung nach der ganzen religiösen Tradition aus. Dies kann er allein, in der Gruppe oder im Gottesdienst tun. All das ist aber eigentlich nichts Neues.

 

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Veränderungen fallen jedoch allmählich auf, wenn das Bisherige nicht mehr der einzigen Norm entspricht. Heutzutage kommen wir zum Beispiel häufig mit neuen Religions- oder Glaubensgemeinschaften und deren religiösen Grundsätzen in Kontakt, was sicher nicht nur durch die Globalisierung, sondern auch durch die vielen politischen Umstrukturierungen bedingt ist. Andererseits gibt es seit dem Holocaust – zumindest in der Eifel und Voreifel – keine jüdische Religionsausübung mehr. Damit entfällt ein Teil unserer Historie, aber auch ein jahrhundertealter Teil der Tradition und der uns umgebenden Kultur.

Heute haben nur noch vereinzelt jüdische Familien in der Voreifel ihren Wohnsitz, und wenn doch, dann sind sie bei ihrer religiösen Ausübung in die Synagogengemeinden der Großstädte Köln, Bonn und Aachen eingebunden. Sollten also auch Gottesdienste – wie zum Beispiel der regelmäßige, jüdische Gottesdienst am Shabbat -, als Gebet verstanden werden, dann gibt es kein jüdisches Beten mehr im Kreise Euskirchen.

Je mehr wir nun die Zeit des rassistischen Nationalsozialismus und der Shoa hinter uns lassen, desto mehr entfernen wir uns unbewusst auch von einem Teil unserer Historie und dem Wissen über die hier praktizierte Religionsausübung. Die Regionalhistorie hat inzwischen jüdische Genealogien und Schicksale, Chroniken und Gebäude für die Nachwelt nachweisbar gemacht. Aber gibt es noch weitere, letzte Spuren jüdischen Betens in der Voreifel?

Man wird zuerst auf die jüdischen Friedhöfe unserer Region verweisen, die inzwischen alle unter Denkmalschutz stehen und als Kulturdenkmal gelten: z.B. Arloff, Bad Münstereifel, Bleibuir, Euskirchen, Flamersheim, Großbüllesheim, Kirchheim, Kommern, Kuchenheim, Lommersum, Mechernich, Schweinheim, Sinzenich, Zülpich. Aber die inzwischen verwitterten Epitaphe erinnern an Vergangenes, an etwas, das es nicht mehr gibt. Schon vor dem Nationalsozialismus, teilweise schon im 19. Jahrhundert, waren - allerdings aus strukturbedingten Gründen - folgende jüdische Friedhöfe schon völlig verschwunden: Euskirchen-Frauenberg, Euskirchen-Wißkirchen, Mechernich-Harzheim, Mechernich-Firmenich, Münstereifel-Hardtwald.

Eine wahrscheinlich noch größere Bedeutung als ehemaliges Zentrum jüdischen Betens haben die Synagogen der Voreifel, an deren Existenz ebenfalls nur noch Gedenksteine und Mahnmale erinnern. Unbemerkt von der hektischen Umwelt jedoch haben zwei kleine Bethäuser bzw. Landsynagogen die Zeit der Zerstörung überstanden: in Lommersum und in Sinzenich. Sollte man nicht alles tun, um diese heute unscheinbaren Gebäude zu erhalten?

Trotz bewusster Integration in unsere Gesellschaft bildeten die Juden verständlicherweise im religiösen Bereich der Voreifel eine unauffällige Subkultur. Aber da alle Gottesdienste in hebräischer Sprache gehalten wurden, lag dem nicht nur ein religiöser, sondern auch pädagogischer und national-jüdischer Zweck zugrunde. Der bekannte Rabbiner de Vries (1870 - 1944), der einst zu den Freunden des aus Flamersheim stammenden Josef Weiss (1) gehörte, begründete dies folgendermaßen:

„Der Gebrauch des Hebräischen als die Sprache aller wirkt wie ein wichtiges Bindemittel. Hebräisch schützt und bewahrt die jüdische Solidarität. Ebenso kündet und zeugt es von Israels Zusammenhalt im Exil. Wäre Hebräisch als die Sprache des Gebetes verschwunden, hätten sich die Synagogen in den Ländern der Zerstreuung voneinander entfernt; damit hätte ein unaufhaltsamer Assimilationsprozess eingesetzt“. (2)

Damit wurde ein religiöses, aber auch politisches Ziel angesprochen. Man behielt dies sowohl in den größten Synagogen als auch in den kleinsten Betstuben im Auge – auch in den winzigen Landsynagogen von Lommersum und Sinzenich, die im wahren Sinne des Wortes bis heute vergessen wurden und nur deswegen in der Bausubstanz heute noch existieren. Sie wurden nicht im Novemberpogrom zerstört. Zu ihnen führen die letzten Spuren jüdischen Betens in der Voreifel.

Die bekannten Synagogen in Zülpich, Weilerswist, Flamersheim, Euskirchen, Münstereifel, Kommern und Mechernich wurden während der „Reichskristallnacht“ 1938 in Brand gesteckt oder anderweitig zerstört, so dass nur heute noch Mahnmale oder Gedenktafeln an sie erinnern. (3) Ein letzter Nachtrag der Stadtverwaltung Euskirchen wurde im Januar 2009 der LVR-Bodendenkmalpflege im Rheinland zugestellt. Der wahrscheinlich erhalten gebliebene Keller der ehemaligen Synagoge in der Annaturmstraße 16 - samt der Mikwe und den diesbezüglichen Nebenräumen – soll künftig als „ortsfestes Bodendenkmal `Ehemalige Synagoge´ im Rahmen des Eintragungsverfahrens“ konstatiert werden. (4) Im Amtsdeutsch wird der Schlussstrich unter den Nachweis jüdischen Betens in Euskirchen gesetzt.

In diesem Zusammenhang sollte man auch auf ein bisher unbekannt gebliebenes rituelles Frauenbad hinweisen. Es befindet sich noch heute im Keller des am Flamersheimer Markt gelegenen Hauses des jüdischen Kaufmanns Emil Herz. Bis zur Einweihung der kleinen Synagoge in der Valdergasse (1879) befand sich hier die örtliche jüdische Gebetsstube. Noch 1984 wurde die vergessene Mikwe von den damaligen Hausbewohnern als tief gelegter Kühlkeller benutzt. Auch eine letzte Spur zum jüdischen Beten in Flamersheim?

SynagogeWie bereits gesagt, gibt es im heutigen Kreis Euskirchen, der zu den größten Flächenkreisen der Bundesrepublik Deutschland zählt, offenbar nur noch zwei – sehr kleine und unscheinbare – Landsynagogen, die den Novemberpogrom aus verschiedenen Gründen überlebt haben, nämlich in Lommersum bei Weilerswist und in Sinzenich bei Zülpich. Während die erste inzwischen bekannt ist und bereits unter Denkmalschutz steht, wurde das Gebäude in Sinzenich bis in die Gegenwart hinein völlig vergessen. Im Jahre 2008 machte ich erstmals darauf aufmerksam. (5)

Der engagierte Schulrektor Peter Simons, langjähriger Heimatforscher des Altkreises Euskirchen, beschrieb bereits in den 1920er Jahren die Historie „der hiesigen Judenschaft“. Während er das „Lommersumer Heimatbuch“ verfasste, verstarb er plötzlich, hinterließ aber genügend Material, so dass der Journalist Clemens Frhr. von Fürstenberg die lesenswerte Chronik im Auftrage des Vereins der Geschichts- und Heimatfreunde des Kreises Euskirchen abschließen und 1959 publizieren konnte. Dort wird die kleine Synagoge von Lommersum in einer zeitgemäßen Diktion erwähnt:

 „Um 1904 baute Hermann Kain an Stelle eines ebenfalls in Judenhand befindlichen Fachwerkhauses in der Zunftgasse einen Betraum, der endlich die Abhaltung von Gottesdiensten am Wohnort der Lommersumer Juden gestattete. Bis dahin waren die glaubenstreuen Israeliten nach Großbüllesheim gepilgert, wenn an den Samstagen der Rabbiner von Euskirchen dorthin kam.

Die kleine Synagoge wurde durch die Freigebigkeit der Glaubensgenossen bald mit den erforderlichen Kultgeräten ausgestattet. Der Siebenarmige Leuchter stand auf seinem Platz, und das Moses-Symbol wurde in einem hölzernen Kasten ehrfürchtig aufbewahrt. Zehn Juden mussten dem Ritus entsprechend an den Sabbathfeiern teilnehmen; fehlten einige an der Zahl, so wurden Glaubensfreunde aus Büllesheim herübergebeten, und konnten auch diese der Witterung wegen nicht anwesend sein, so behalf man sich, wie glaubhaft versichert wird, auch mit einem Christen. Wurde der Betraum zu Anfang eifrig benutzt, so ließ zu Beginn der zwan­ziger Jahre der Glaubenseifer merklich nach, und es erhob sich kein Wider­spruch, als Kain das Grundstück an einen nichtjüdischen Kaufmann ver­äußerte, der dort eine Schusterei eröffnete.“ (6)


Somit ging der Sturm des Novemberpogroms 1938 an dem kleinen jüdischen Bethaus von Lommersum vorüber. Damals war es längst in „arischem Besitz“, und daher bestand nie die Gefahr einer Zerstörung.

Vor etwa zehn Jahren hatte die Historikerin Elfi Pracht noch keine Möglichkeit, das Innere des Gebäudes in der Zunftgasse zu betreten. In ihrem Buch „Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen“ beklagt sie sich darüber und konstatiert:

„Es war der Verfasserin verwehrt, das Innere des Hauses zu betreten. Gegen den Willen des heutigen Eigentümers, der das in seinen Augen völlig veraltete Bauwerk abreißen lassen wollte, wurde das Gebäude in der Zunftgasse 9 in die Denkmalliste der Gemeinde Weilerswist eingetragen.“ (7)

Mit diesem Problem hatte ich nicht zu tun. Seit etwa sechs Jahren ist jetzt das jüdische Gebetshaus von Lommersum, in dem vor mehr als 85 Jahren der letzte Minjam stattfand, im Besitz von Iris und Stefan E(...), die sehr an einer Restaurierung interessiert sind und auf eine finanzielle Unterstützung der Gemeinde Weilerswist und des Denkmalschutzes hoffen. Dort hat man aber offenbar kein Interesse daran, den Verfall des jüdischen Gotteshauses aufzuhalten! Meine Ortsbegehung wurde von den Eheleuten E(...) anstandslos am 23. Januar 2008 ermöglicht, so dass erstmals Fotos vom jetzigen Zustand der Lommersumer Landsynagoge veröffentlicht werden können. Hierfür dankt der Autor den Eigentümern an dieser Stelle ausdrücklich.

Folgende Beschreibung der Lommersumer Bethauses erfolgte durch die Bestandsaufnahme des Rheinischen Amtes für Denkmalpflege in Pulheim-Brauweiler:

Synagoge„Es präsentiert sich als giebelständiger eingeschossiger Backstein­bau auf rechteckigem Grundriß und niedrigem Sockel. Das Satteldach ist mit Tonpfannen eingedeckt. Die Eingangstür befindet sich in der Mitte der linken Traufseite. Die straßenseitige Schaufassade weist zwei rechteckige Fenster mit waagerechtem Sturz und Sandsteinsohlbank auf. Die Fenster sind heute meist mit doppelschlägigen Läden verschlossen. Im Giebeldreieck ist ein Rundfenster mit Sandsteingewänden. Eckpilaster mit waagerechtem Abschluß ragen über die Traufhöhe ebenso hinaus wie der Mittelpfeiler, der den überfirsthohen Giebel bekrönt. Ein weiteres Schmuckelement ist das mehrfach profilierte Traufgesims unter dem Giebel. Das Gebäude beherbergte lediglich einen Betraum. Wo die Frauenempore installiert war, läßt sich nicht mehr nachvollziehen. Die ehemalige Synagoge wird heute als Lagerraum benutzt.“ (8)

Ohne jetzt auf die bauliche Substanz und die derzeitige Nutzung des Gebäudes einzugehen, kann gesagt werden, dass der ursprüngliche Zustand noch gut zu erkennen ist. Auch der Zugang zum kleinen Dachgeschoss ist durchaus möglich. Die Fensterrahmen, Türfassung und die Türe selber sind original. Es hat offenbar nie eine Frauenempore gegeben. Ebenso wie in Sinzenich wird es so gewesen sein, dass sich die Frauen und Männer gegenüber gesessen haben, wie das von einigen der ehemaligen jüdischen Gemeindemitglieder auch im Januar 2008 telefonisch bestätigt wurde.

Da die neuen Eigentümer erst vor einigen Jahren eingezogen sind, sollte ihnen kein Vorwurf für die derzeitige Benutzung als Schuppen gemacht werden. Das Ehepaar E(...) ist ausgesprochen hilfsbereit und an einer finanziell unterstützten Renovierung interessiert. Auf mein Anschreiben vom 29. April 2008 hin antwortete mir der damalige Bürgermeister, Armin Fuß, am 26. Mai 2008, dass „die Gemeinde Weilerswist aufgrund der desolaten Haushaltsalage seit einigen Jahren nicht mehr in der Lage ist, finanzielle Zuwendungen für Sanierungsmaßnahmen an Baudenkmälern zur Verfügung zu stellen.“

Er ergänzte allerdings, dass dies nicht nur die ehemalige Synagoge in Lommersum betrifft, sondern in gleicher Weise auch die übrigen 143 Objekte, die in der Gemeinde Weilerswist als Baudenkmäler unter Schutz gestellt wurden. Weiterhin ergab sich, dass jedoch statt finanzieller Mittel eine umfassende Beratung vor Ort durch den zuständigen Denkmalbeauftragten am 4. Juli 2005 stattgefunden hätte. Wörtlich wird daher zur Situation der Landsynagoge von Lommersum Stellung genommen:

„Hierbei wurde festgestellt, dass das Objekt grundsätzlich nicht gefährdet ist und sich weitgehend in einem guten originalen Zustand befindet. Sanierungsbedarf besteht hier eher im Inneren des Gebäudes (tlw. morsche Balken und desolater Verputz). Den Denkmaleigentümern wurden die sonstigen Fördermöglichkeiten (evtl. auch über jüdische Institutionen) nahegelegt. Ferner wurde auf die Möglichkeit der Steuervergünstigung bei Sanierungsmaßnahmen hingewiesen.“

Die Landsynagoge von Sinzenich

Auch sie überstand die „Reichskristallnacht“ unbeschadet. Der wesentliche Unterschied zu Lommersum besteht allerdings darin, dass sie sich 1938 noch im Privatbesitz des jüdischen Parnes Leo Horn befand und bis zum Novemberpogrom 1938 ihre Funktion erfüllen konnte. Somit ist der Hinweis auf dieses Gebäude wichtig. Während die Münstereifeler Synagoge auf der 1. Etage eines jahrhundertealten Fachwerkhauses im historischen Stadtkern nur zerstört und nicht bewusst in Brand gesteckt wurde, handelt es sich bei der Landsynagoge von Sinzenich um das einzige jüdische Gotteshaus in der Eifel und Voreifel, das den Novemberpogrom 1938 unbeschadet überstand. Kein einziges separat stehendes jüdisches Bethaus wurde ansonsten von den Nationalsozialisten übersehen. Es blieb somit als Gebäude bis heute erhalten und steht nicht unter Denkmalschutz.
Längere Telefonate am 25.und 26. Januar 2008 mit den heute in den USA lebenden Schwestern Ilse (verh. Nathan) und Ruth (verh. Siegler) Scheuer sowie deren Cousine Evelyn Levy (Heilbron), die einst in Sinzenich beheimatet waren, ergaben, dass in der Kehilla nur der im Garten gelegene Anbau als Synagoge galt. Die fanatisierten Nationalsozialisten legten beim Novemberpogrom aber kein Feuer, so dass das Gebäude in einem unversehrten Zustand, wie in einem Dornröschenschlaf, bis in die Gegenwart hinein gerettet werden konnte.

 

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Die Landratsamtakte für den Kreis Euskirchen Nr. 278 bestätigt, dass sich bereits im Jahre 1869 ein kleiner Betsaal im Obergeschoss des Hauses von Josef Horn II, Am Bach Nr.12, befand, der allerdings später nur gelegentlich bis ins 20. Jahrhundert benutzt wurde. Aber schon längst war wegen der Vergrößerung der kleinen Gemeinde ein eigenes Gebäude notwendig, das heute erstmals kartographisch nachgewiesen werden soll. Mit Hilfe des Euskirchener Katasteramtes kann belegt werden, dass sich die kleine Landsynagoge in einem zum Garten hin gelegenen Anbau befand. Umbauten haben später nicht stattgefunden. Laut Katasterbeleg bestand die Synagoge von Sinzenich schon 1880/81.

Wie bereits vor mehr als einem Jahrhundert muss man auch heute eine Treppe benutzen, um in den etwa 55 qm großen ehemaligen Gebetsraum zu gelangen. Er wird zurzeit von der 20jährigen Tochter Hannah der heutigen Besitzer, Loretta und Peter K(...), im „modern style“ bewohnt und ist in einen Wohnraum sowie ein Kämmerchen und einen Sanitärbereich unterteilt. Bis zur „Reichskristallnacht“ handelte es sich um einen durchgehenden Raum, in dem sich die jüdischen Männer und Frauen gegenübersaßen. Eine Frauenempore gab es nicht. Heute erinnert nur noch die gewölbte Decke an die einstige sakrale Nutzung durch die kleine jüdische Gemeinde von Sinzenich. Zu ihr gehörten damals u.a. die Familien Felix Hartoch, Leo Kaufmann, Ludwig Levy, Moritz Horn, Jacob und Julius Scheuer, Josef Scheuer sowie Leo Sommer.

In diesem Gebetsraum befanden sich noch beim Novemberpogrom die Koffer der jüdischen Familie Ludwig Levy, die einige Tage später in die Vereinigten Staaten auswandern wollte. Sie wurden von fanatisierten Nationalsozialisten geplündert oder gestohlen. Die Gebetbücher warf die aufgehetzte Menge in den nahen Bach.

Im Erdgeschoss der Landsynagoge befinden sich drei kleine Räume, von denen einer Aufmerksamkeit erregt, da an der Decke Haken befestigt sind. Bis vor einigen Tagen bestand die Vermutung, dass sie zum rituellen Schächten gedacht waren. Jetzt weiß man, dass dies nicht der Fall war. Frau Ruth Siegler geb. Scheuer bestätigte telefonisch, dass nur ihr Vater, Jakob Scheuer, der Schochet der Gemeinde Sinzenich war, und dafür einen besonderen Raum in seinem eigenen Hause, zwei Gebäude weiter, mit einem dazugehörigen Kühlraum besaß. Offenbar wurden die Haken nach dem 2.Weltkrieg angebracht.

Das einstige Wohn-und Geschäftshaus des jüdischen Textilwarenhändlers der Familie Moritz Horn befand sich am Bach Nr.12/14, heute Auf dem Sand Nr.12. Die heutigen Besitzer sind Loretta und Peter K(...), die ehrenamtlich und ohne jegliche Hilfe der Gemeinde oder des Denkmalschutzes das gesamte Wohnhaus sowie auch das rückwärtige Synagogengebäude eigenständig restauriert haben. Während letzteres bis vor einigen Jahren eine unansehliche Kunststoff-Verkleidung hatte, kann man heute wieder das Bethaus mit seinen gebrannten Feldsteinen im Originalzustand sehen. Wie die Familie E(...) in Lommersum, so überraschte auch bei der Familie K(...) in Sinzenich die Bereitschaft, mir den sofortigen Zugang zur Ortsbesichtigung am 22.und 24. Januar 2008 zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang gab es eine Erinnerung an den früheren jüdischen Hausbesitzer: Ein Lineal mit der Gravur: „Leo Horn, Sinzenich, Kreis Schleiden“. Es wird heute noch von Frau Lorette K(...) benutzt.

Und zum Schluss noch eine erfreuliche Anmerkung: Mit Bezug auf mein Schreiben vom 29. April 2008 antworte mir der Zülpicher Bürgermeister, Albert Bergmann, am 13. Mai 2008, dass das Eintragungsverfahren für die vergessene Sinzenicher Landsynagoge beim Rheinischen Landesamt für Denkmalpflege eingeleitet wurde:

„Für die Eintragung in die Denkmalliste ist noch die fachgutachterliche Stellungnahme und die damit verbundene Benehmensherstellung mit diesem Fachamt gemäß Denkmalschutzgesetz Nordrhein-Westfalen erforderlich. Voraussetzung für eine denkmalgerechte Renovierung bzw. Instandhaltung – die ich sehr begrüße – ist zunächst eine abschließende Unterschutzstellung.“

 
Fußnoten

(1) Josef Weiss (1893-1976), charismatische Persönlichkeit in der Zeit des Holocaust und letzter Judenältester
 von Bergen-Belsen. Vgl. Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Weiss

(2) Simon Ph. de Vries, Jüdische Riten und Symbole, Wiesbaden 1982, 2. dtsch. Auflage, S. 12.

(3) Vgl. Hans-Dieter Arntz, „REICHSKRISTALLNACHT“ – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande, Aachen 2008.

(4) NEWS vom 2. Januar 2009: http://www.hans-dieter-arntz.de/news2009.html

(5) Euskirchener Wochenspiegel vom 20.02.2008.

(6) Lommersumer Heimatbuch, Euskirchen 1959, S. 97/98.

(7) Nach Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Köln 1997, Band 1, S. 383.

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