Der älteste und jüngste jüdische Einwohner von Kuchenheim:
Jakob und Arno Sommer

von Hans-Dieter Arntz
09.02.2010

Die Geschichte der jüdischen Gemeinde von Kuchenheim wurde 1984 in der dreibändigen Jubiläumsausgabe „Cuchenheim 1084 – 1984“ publiziert und befasst sich besonders mit den Familien Sommer. Vgl. Bd.2, S. 415 - 432. Auch der Besuch des jüdischen Friedhofs, der wie das Dorf inzwischen zur Kreisstadt Euskirchen gehört, weist auf die Familiengeschichte hin. Hier gab es übrigens die letzten Beerdigungen im Jahre 1929, als die 19jährige Irma Rolef und der 80jährige Hermann Sommer verstarben.

Intensive Kontakte zu den heute in Israel lebenden Nachkommen machten es letzte Woche möglich, genealogische Unterlagen und ausgiebiges Fotomaterial zu sichern. Sie erinnern an das einst harmonische Zusammenleben mit den Dorfbewohnern, personifizieren aber auch die akribisch geführten Listen der Nationalsozialisten. Bilder aus dem dörflichen Alltagsleben und aus dem persönlichen Bereich, die sich jedoch im Prinzip kaum von anderen Nachlässen unterscheiden, sind die letzten Spuren der Kuchenheimer Juden und daher historisch wichtig. In diesem Zusammenhang möchte ich exemplarisch an das älteste und das jüngste Mitglied der Kuchenheimer Kehilla hinweisen: Jakob (1836 -1929 - ?-) und Arno Sommer (1930 -1942).

Am 1. August 1926 hieß es knapp im „Euskirchener Volksblatt“:

* Cuchenheim, Heute feierte der älteste Bürger unseres Dorfe, Herr Jakob Sommer sen., bei geistiger und körperlicher Frische seinen 90. Geburtstag.

Jakob Sommer

Jakob Sommer am 90. Geburtstag (1926)

 

Der Senior der jüdischen Gemeinde war in religiösen Angelegenheit sehr engagiert und gehörte im Jahre 1888 zum Vorstand der Kreis-Synagogengemeinde. Seine Angehörigen schickten damals sein Foto an Verwandte in den Niederlanden, was auch der Text auf der Rückseite des vergilbten Fotos beweist: „Onkel Jakob Sommer, Cuchenheim 5. August 1926, bedankje na zijn 90e verjaardag“. Von dort gelangte es über Palästina und Israel letzte Woche wieder nach Euskirchen. Der Grabstein des ältesten jüdischen Gemeindemitglieds von Kuchenheim ist seit der „Reichskristallnacht“ nicht mehr aufzufinden. Feststeht, dass der auf dem Foto abgebildete Jakob Sommer sen. auch zu der Familie Callmann zu Kirchheim zählte, die 1764 nach Kuchenheim verzogen war. Somit war Callmann der Stammvater der noch heute in der Region bekannten Familien Sommer, und mehrere männliche Verwandte wurden „Jakob“ genannt.

Mit Jakob Sommer sen. verstarb kurz vor der sogenannten „Machtergreifung“ der älteste jüdische Bewohner von Kuchenheim. Seine Ehefrau Lissette geb. Herz (1834) war bereits im Jahre 1900 verstorben. Ihr Grabstein ist noch auf dem jüdischen Friedhof und gibt über die Verstorbene in hebräischen Buchstaben Auskunft. Die Übersetzung lautet:

Hier ruht in Gott Frau Jak. Sommer sen. geb. Lissette Herz geb. am 9. Novbr. 1835 gest. am 23. Febr. 1900. Ach, viel zu früh entschliefest Du Gott schenk uns Trost, Dir sanfte Ruh!

Hier ist begraben Zerle, Tochter des Schimon, geboren 18. Marcheschvan 595, gestorben 24. Adar 660, und begraben 27. Adar 660. Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens.

Das vergilbte Foto zeigt also ihren Ehemann, Jakob Sommer sen., den ältesten Einwohner Kuchenheims, an seinem 90. Geburtstag im Jahre 1926. An seinen gleichnamigen Verwandten – Jakob Sommer jun. (1845 – 1926) – erinnert allerdings noch heute ein schwarzer, senkrecht stehender Grabstein. Er war der etwas jüngere Jakob Sommer (jun.), der auf dem Epitaph mit Jizchak ben Kalonymos bezeichnet wird. Sein Vater war Sommer, Callmann (Kalonymos), der bereits erwähnte Stammvater der verschiedenen jüdischen Familien Sommer.

Die Übersetzung des hebräischen Textes lautet:

Hier liegt begraben
der liebe Mann
Jakob
Sohn des Kalonymus Sommer seligen Andenkens
gest. im gesegneten Alter am 15. des 4. Monats
im Jahre 687 nach der kleinen Zählung

 

Für die Regionalhistorie ist bedeutsam, dass Jakob Sommer jun. im November 1918 für die Gruppe der Bürger zum stellvertretenden Vorsitzenden des Kuchenheimer Arbeiter-, Bürger- und Soldatenrates gewählt wurde.

Arno Sommer (geb. 13.10.1930) war das letzte jüdische Kind, das in Kuchenheim lebte und im Juli 1942 mit seinen Eltern in Minsk umkam. Er wohnte mit Vater Wilhelm (1895 –1942) und Mutter Rosa geb. Kompert (1896-1942) auf der Hauptstraße 196, dann Hochstraße 18.

Arno besuchte die Volksschule in Kuchenheim, ehe ihm der weitere Unterricht nach dem Novemberpogrom 1938 verboten wurde.

 

Arno Sommer

Arno Sommer (aus dem privaten Fotoalbum)

 

Laut einer Bestätigung vom 28.05.1941 zur Verfügung der Umsiedlung der Juden vom 17.5.1941 wurde die Familie Sommer am 8. Juni 1941 ins benachbarte Großbüllesheim umgesiedelt und von dort aus am 20. Juli über Köln nach Minsk deportiert. Im „Judenhaus Meyer, Großbüllesheim, Talstraße,“ vegetierten in drangvoller Enge u.a. auch die Kuchenheimer Juden: Karl und Otto Sommer sowie Amalie Wolff.

 

Rosel Sommer   Wilhelm Sommer

Rosel (Rosa) Sommer geb. Kombert

 

Wilhelm (Willi) Sommer

 

Arno Sommer, der damals jüngste jüdische Einwohner von Kuchenheim, gehörte mit seinen Angehörigen zum 6. Transport nach Minsk/Trostenez am 20. Juli 1942. Alle mussten sich am Sonntag, dem 19. Juli, zwischen 10 und 15 Uhr in den Kölner Messehallen einfinden und mit den angeforderten Unterlagen antreten.

Dies waren:
Wertsachen jeder Art, Lebensmitteln für drei Tage, RM 50,— für das Fahrgeld - denn die „Reise" in den Tod musste jeder Teilnehmer bezahlen -, ein Koffer oder Rucksack mit den persönlichen Gegenständen, Kleidern und Wäsche, einem Bettsack mit Bettwäsche und Bettzeug, einem Essbesteck und einem Essnapf. Aber alles nur, soweit man es selbst tragen konnte. Vorher waren die genaue Vermögenserklärung, Schreibmaschinen, Fahrräder, Ferngläser usw. an entsprechenden Stellen abzuliefern. So wurde der Raub ordentlich und gewissenhaft organisiert, und wer nicht mitmachte, hatte mit staatspolizeilichen Maßnahmen zu rechnen. Jeder wusste, was das bedeu­tete. In den Messehallen erfolgte die oben beschriebene demütigende Prozedur mit allen möglichen Schikanen. Die Nacht vom 19. zum 20. Juli 1942 verbrachte die meisten auf aufgeschüttetem Stroh, auf dem nackten Steinboden.

Auch Arno Sommer wird zu den Kindern gehört haben, die von der drohenden Gefahr nichts ahnten. Am Montag, dem 20. Juli, wurden alle jüdischen Inhaftierten zum Bahnhof Deutz-Tief geführt. Augenzeugen berichteten, dass die Zuversicht, die Geschlossenheit und der Optimis­mus der vielen Kinder und Jugendlichen sich wohl auch auf die Trans­portteilnehmer verbreitete, so dass viele das Gefühl gewannen, es ginge zwar in eine ungewisse, aber doch irgendwie erträgliche Zukunft. Ja, man dachte sogar an eine Rückkehr nach Köln. Der Zug verließ Köln gegen 15.00 Uhr. Von diesem Transportzug Nr. Da 219 überlebte keiner – auch nicht Arno Sommer, das letzte und jüngste jüdische Kind aus Kuchenheim.

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