Bereits 1893 gab es im Eifelstädtchen Euskirchen „keinen Platz für Judenhass“ – Regionalhistorische Anmerkung zum gegenwärtigen Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus

von Hans-Dieter Arntz
Quelle: Hans-Dieter Arntz, JUDAICA – Juden in der Voreifel, Euskirchen 1986, 3. Aufl., S.116/117
26.09.2014

Anmerkung

Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, appellierte neulich an die Deutschen, noch deutlicher den Antisemitismus und Rassismus in Deutschland zu bekämpfen. Bei einer eindrucksvollen Demo in Berlin am 14. September 2014 gab es ein breites Bündnis gegen Antisemitismus und die erneute Forderung: Keinen Platz für Judenhass“. Alle im Bundestag vertretenen Parteien, aber auch der Deutsche Gewerkschaftsbund oder gar der Deutsche Fußballbund hatten zu dieser Demo am Brandenburger Tor aufgerufen – und rund 6000 Zuhörer waren gekommen.

 

Judenhass

 

Bereits vor mehr als einem Jahrhundert - im Jahre 1893 – veranstaltete auch schon das kleine Eifelstädtchen Euskirchen eine „Demo“ zum Thema „Kein Judenhass“. Sie wurde von der Bürgerschaft spontan und selbstständig organisiert. Antisemitismus und Judenhass waren nämlich in der Eifel und Voreifel kein Thema, und Veranstaltungen der im Reichstag vertretenen „Antisemitenparteien“ endeten in Münstereifel, Rheinbach, Düren und Euskirchen meist als wahre Posse. Meine regionalhistorische Homepage wird demnächst weitere Beispiele hierfür bringen.

Während man zum Beispiel im August 1893 in Münstereifel die Holzbrücke zur Burgruine ansägte, so dass viele „Antisemiten“ in die Erft stürzten und auch deswegen homerisches Gelächter in der überregionalen Presse ernteten, hatte man im Dezember 1893 still und heimlich die in der Euskirchener „Tonhalle“ stattfindende „Antisemiten-Veranstaltung“ in eine Karnevalsveranstaltung umorganisiert, in der eigentlich der typische Antisemit als „Hanswurst“ – Bezeichnung des Euskirchener Karnevalsprinzen – und die politische „Antisemiten-Veranstaltung“ in eine „ulkige Karnevalsveranstaltung“ umfunktioniert wurde. Alles endete als „Posse“.

Eine „Posse“ ist im Prinzip ein Bühnenstück, das auf Verwechslungen, ulkigen Zufällen und unwahrscheinlichen Übertreibungen aufgebaut und soll durch derbe Komik Lachen erzeugen. Das kleine Kreisstädtchen Euskirchen, das im Jahre 1893 nur wenige Tausend Einwohner hatte, bot nun eine aktuelle Lokalposse, die im wahren Sinne realistisch war und mit regionalen Besonderheiten und Voreifeler Dialekt das antisemitische Ärgernis im Lokalkolorit austauschbar machte. Auch die „Antisemiten-Demo“ von 1893 lässt sich leicht auf andere Regionen übertragen. Über den Antisemitismus – und den rheinischen Karneval – lacht man, zumindest kann man dies der „Euskirchener Zeitung“ vom 13. Dezember 1893 entnehmen:

 

 Aus: Hans-Dieter Arntz, JUDAICA – Juden in der Voreifel,

Euskirchen 1986, 3. Aufl., S.116/117

Alfred Apfel...... Im November 1893 folgte eine weitere „antisemitische Versammlung" im benachbarten Rheinbach. Das Euskirchener „Volksblatt" - stets konservativ, schollenfreundlich und katho­lisch - hatte die Bestrebungen der Antisemiten eigenwillig analysiert, es sei deren Hauptziel gewesen, die Zentrumspartei der Voreifel zu splittern, „um alsdann im Trüben fischen zu können". (270)

Dennoch war das gleiche Blatt sich nicht zu schade, im Dezember 1893 Werbung für eine weitere antisemitische Veranstaltung in Euskirchen zu machen. Man veröffentlichte nicht nur diesbezügliche Anzeigen, sondern druckte auch fleißig Plakate. Die konkurrierende „Euskir­chener Zeitung" distanzierte sich von den auswärtigen Antisemiten, hatte deren lukrative Angebote ausgeschlagen und konnte nun den Kontrahenten öffentlich kritisieren, da dieser nicht mitgezogen hatte.

Die Vorbereitungen und das Interesse - besonders aus Köln - wurde von der Euskirchener Judenschaft argwöhnisch beobachtet. Immerhin befanden sich die Gegner in der größten Voreifel-Gemeinde, und die Veranstaltung lief auf eine Provokation hinaus. Dennoch konnte schnell bewiesen werden, daß Antisemitismus zu jener Zeit in der Voreifel niemals gedeihen konnte. Schon das tatkräftige Einschreiten des Münstereifeler Pfarrers bei der Versammlung im August hatte gezeigt, auf wessen Seite die hiesigen Katholiken standen. Auch die „Euskirchener Zeitung" hatte damals bestätigt, daß sich der Geistliche „hier unstreitig Verdienste erworben" hatte. (271)

Der Einfluß einiger wohlhabender Juden sowie sicher auch der Stadtverwaltung und Kirchen bewirkte, daß die erste antisemitische Versammlung in Euskirchen zu einer typischen Karne­valsveranstaltung umfunktioniert wurde.

Die Euskirchener „Tonhalle" auf der Kessenicherstraße - Zentrum kultureller, aber auch politischer Tagungen - hatte kurzfristig die Genehmigung für das obskure Unternehmen zurückgezogen und stattdessen das Politikum zum karnevalistischen Ulk degradiert. Als nämlich nachmittags, gegen 5 Uhr, die „Antisemiten oder besser gesagt diejenigen, die es nicht werden wollten oder noch einfacher die Neugierigen" (Euskirchener Zeitung) zur Tonhalle strömten, erlebten sie eine Enttäuschung: Statt der antisemitischen Versammlung hatte man der hiesigen Karnevalsgesellschaft „Generalitätsulk" die Möglichkeit gegeben, eine Veranstaltung in ihrem Sinne aufzuziehen. So residierte auf dem Podium ein zünftiger Elferrat mit Pritschen und Narrenkappen.

Judenhass

Schadenfroh erklärte die „Euskirchener Zeitung" am 13. Dezember 1893:

Im Anschluß an die Beschreibung der ersten und letzten antisemitischen Veranstaltung jener Zeit in der Kreisstadt schloss die Euskirchener Zeitung“ diesbezügliche Überlegungen an. Demzufolge war am Tage vorher ein Flugblatt in Umlauf gebracht worden, in dem sich die Euskirchener Katholiken energisch von dieser Versammlung distanzierten. Aber alle „tatkräftigen Euskirchener" erhielten die Aufforderung, in der Tonhalle zu erscheinen, „um ihre duldsame Überzeugung und christliche Nächstenliebe auch den jüdischen Mitbewohnern gegenüber zu vertreten" (272).

Zudem hatte der Berichterstatter inzwischen erfahren, „daß den Antisemiten schnell der Boden heiß gemacht worden wäre". Entsprechende Kreise hätten nämlich dafür gesorgt, „daß eine Koryphäe auf organisatorischem Gebiet von hier Leben in die Bude bringen würde. Es ist daher keineswegs als Unglück zu erachten, daß die Geschichte nicht zum Klappen gekommen ist." (273)

Nach einer gewissenhaften Analyse des vollständigen Artikels kann zudem behauptet werden, daß sich Katholiken und Zentrumspartei voll mit den Euskirchener Juden solidarisch erklärt hatten. Außerdem spielte ein bisher unbekannter Euskirchener Schornsteinfeger - der auch „Mitglied der St. Hubertusschützen" war - eine wesentliche Rolle:

,Als eine Erfindung aber wird es zu erachten sein - und wenn es auch die Müschen von den Dächern pfeifen-, daß auf den Saalbesitzer ein mächtiger Druck von irgendeiner Seite ausgeübt worden sei, ebensowenig als es wahr ist, daß die so schön zusammenge­stellten katholischen Stimmen über die `Judenfrage' in dem erwähnten Flugblatte aus der Synagoge erklungen seien. Geradezu absurd jedoch muß es genannt werden, wenn behauptet wird, ein ehrsamer Schornsteinfeger habe die ganze verpfuschte Geschichte auf dem Gewissen und er habe die Leute von Stadt und Land einmal gründlich angeschwärzt. So etwas tut unser verwundeter Jäger von St. Hubertus nicht!" (274)

Der ironische Unterton kann nicht überhört werden. Zweifellos werden die Zeitungsleser von anno dazumal die Hintergründe verstanden haben.

Auch in Düren - dem anderen jüdischen Zentrum der Voreifel - erreichten die Antisemiten nicht das, was sie erhofft hatten. Die „Dürener Rurzeitung" teilte mit, daß hier die gleichen Redner zum Zuge kommen sollten, die für Euskirchen vorgesehen waren. Aber keiner der Redner war da. „Oder waren einige Redner unpünktlich?" Auf jeden Fall waren die „Interims- Redner" sehr langweilig, und natürlich fehlte der bei solchen Versammlungen übliche Radau auch in Düren nicht.

„Der die Versammlung leitende Lehrer Willems geriet vom Hundertsten ins Tausendste, alles das auftischend, was hundert- und tausendmal gegen die Juden als Waffe gebraucht worden ist." (275)

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