Ordensburg für Hitlers Elite:
In der „Junkerschmiede“ wurde NS-Führungsnachwuchs gedrillt

von Hans-Dieter Arntz
(Aus: Aachener Volkszeitung, 12. Juni 1986)
23.01.2007

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Eine Serie von Hans-Dieter Arntz (Teil 1)

 

Mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrer Entstehung wird ihre Geschichte wieder lebendig. Der Euskirchener Gymnasiallehrer Hans-Dieter Arntz hat soeben ein Buch über die Ordensburg Vogelsang in der Eitel veröffentlicht, in dem er die Ereignisse um eine der drei „Junkerschmieden" des Dritten Reiches zwischen 1934 und 1945 nachzeichnet. Hier wurde die junge NS-Führungselite auf ihren Einsatz in Staat und Gesellschaft vorbereitet. Hier erhielt sie ihre ideologische Orientierung.

Die neue AVZ-Serie ist eine gestraffte Zusammenfassung des Buches, das unter dem Titel Ordensburg Vogelsang, 1934-1945, Erziehung zur politischen Führung im Dritten Reich im Euskirchener Kumpel-Verlag erschienen ist.

Als am 6. Februar 1945 der amerikanische Soldatensender „Annie" einen Originalbericht des groß­deutschen Rundfunks wiedergab, in dem der Sprecher von der zwei Tage zuvor erfolgten Einnahme der einstigen „Ordensburg Vogelsang" mit melancholischer Stimme berichtete, da wurden viele Deutsche an die besonderen Ausbildungsstätten der NSDAP erinnert, die einen elitären politischen Führernachwuchs heranbilden sollten. Die „Falkenburg am Crössinsee" in Pommern, „Burg Sonthofen" im Allgäu und „Burg Vogelsang" in der Eifel waren die drei Zentren, in denen „Führeranwärter" (gelegentlich auch „Junker" genannt) charakterlich, politisch, diplomatisch, verwaltungspolitisch und nationalsozialistisch geschult wurden.

Ohne einen Schuss nahmen die amerikanischen Truppen Vogelsang ein. Nach dem Zweiten Welt­krieg bauten die Engländer das Gelände zu einem Truppenübungsplatz aus. Am 1. April 1950 übernahmen die Belgier das 63 Quadratkilometer große Gelände. Der belgische Truppenübungsplatz steht heute auch Streitkräften aus der Bundesrepublik, England, USA, Holland, Kanada und Luxemburg zur Verfügung.

Ordensburgen waren keineswegs „Zuchtstätten" einer germanischen Herrenrasse und auch nicht eine Niederlassung des berüchtigten „Lebensborn", wie es heute noch viele Deutsche wissen wollen, sondern Ausbildungsanstalten für künftige Führungskräfte im Parteidienst. Die Auslese und Heranbildung der nationalsozialistischen „Führeranwärter" war jedoch derart elitär und auf die Verwaltung deutscher Diktatur ausgerichtet, dass sie selbst in der Zeit des sogenannten dritten Reiches sagenumwoben blieb.


vogelsang

Das allmählich schwindende Interesse junger Nationalsozialisten, Kritik aus der Reichsorganisation selber und der Beginn des zweiten Weltkrieges   verhinderten   allerdings den Abschluss der auf vier Jahre avisierten Lehrgänge. Nach einem je einjährigen Besuch auf den Burgen Crössinsee, Vogelsang und Sonthofen war noch ein ab­schließender Lehrgang in der Marienburg/Ostpreußen vorgesehen. Doch hierzu kam es nicht mehr. Die Ausbildung auf der Ordens­burg Vogelsang fand also nur von 1936 bis zum Kriegsbeginn 1939 statt - und betraf eigentlich nur insgesamt 1500 Männer, die aus der unteren Mittelschicht stammten, im Alter von 23 bis 26 Jahren waren, keine Brille trugen, größer als 160 Zentimeter und kerngesund waren und zudem einen „Ariernachweis" bis 1800 erbringen konnten. Als „Führeranwärter" wurden sie einseitig, nicht­christlich und antisemitisch ausgerichtet.

Sicher, aufgrund der kurzen Ausbildung und der baldigen Musterung zur Reichswehr kam es nicht immer zu dem, was man von fanatischen Ordensjunkern erwartete. Aber viele sind nach dem Krieg wegen ihrer Tätigkeit als Gebietskommissar im Osten verfolgt worden. Ein Ordensburg-Lehrer im Fach „Rassenkunde", Dr. Werner Seh., leitete später in den Niederlanden ein Konzentrationslager. Die Justiz fahndete lange nach ihm wegen Mordes und Kriegsverbrechen.

Umgekehrt jedoch ist auch bewiesen, dass die militärischen Leistun­gen dieser Männer überdurchschnittlich waren und ihr Fanatismus und ihre Einsatzbereitschaft dem Bildungsziel der drei Ordensburgen gerecht wurden. Nur wenig Material lässt sich in deutschen Instituten finden. Dafür wird man in englischen und amerikanischen Archiven leichter fündig. Auch die für meine Dokumentation erbetene Mitarbeit der Zeitzeugen ließ zu wünschen übrig. Etwa 60 ehemalige Junker bzw. deren Angehörige leben im Raum Schleiden-Gemünd-Heimbach – und hielten sich zum größten Teil vornehm zurück. Auch diejenigen „Führeranwärter", die sich heutzutage als Kameradschaft formiert haben und sich jährlich in einer kleinen rheinischen Stadt treffen, scheuten das Licht der Öffentlichkeit. Ihr Sprecher begründete dies in der schriftlichen Absage, dass der Bogen des Autors von seinen langjährigen Forschungen über das Eifeler Judentum bis hin zur Ordens­burg Vogelsang „etwas gewagt erscheint". Der Leser möge diese Stellungnahme selber analysieren! Trotzdem meldeten sich fast 200 Lehrgangsteilnehmer und Burgangestellte, die sich bewusst von der erwähnten Vereinigung fernhalten wollen. Sie stellten Informationen, Akten und Fotos zur Verfügung.

Die Idee zu den drei Ordensburgen ging auf den Reichsorganisationsleiter der NSDAP, Dr. Robert Ley, zurück. Als „Schaffer" der Kraft-durch-Freude-Organisation (KdF) und Führer der Deutschen Arbeitsfront (DAF) war dieser rheinländische Nationalsozialist daran interessiert, die breiten Massen zu aktivieren. Während 1932 der Altkreis Schleiden noch 10 Prozent Arbeitslose hatte, konnte Kreisleiter Binz 1935 seinem Führer Adolf Hitler melden, dass Schieiden der erste Bezirk im Deutschen Reich ohne Arbeitslosigkeit sei. Dies jedoch war nur der Tatsache zu verdanken, dass der Reichsorganisationsleiter in der kleinen Gemeinde Dreiborn ein „Reichsschulungslager" bauen ließ, das anfangs nur für Kurzlehrgänge strapazierter Parteiredner gedacht war. Mehr als tausend Ar­beiter und Handwerker bekamen nun Arbeit.

Das Euskirchener „Volksblatt", andere regionale Zeitungen und ab Mitte 1933 auch der „Westdeutsche Beobachter" zählten auf, wie­viel Eifeler Material von einheimischen Firmen verarbeitet, in welchem Zeitraum die Infrastruktur der Eifel ausgebaut und wieviel Geld für die Lebensbedürfnisse der vielen Fremden in das Dreieck Schleiden-Gemünd-Urftsee gepumpt wurde.

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