Seit dem Einmarsch der französischen Revolutionsheere in das Rheinland gab es große Veränderungen. Davon war auch die kommunale Verwaltung betroffen, und man ahnte, dass auch die Hierarchie der kommunalen Verwaltung eine neue Bedeutung bekommen würde.
So herrschte in den ersten Tagen des Monats Oktober 1794 in Euskirchen mehr oder weniger große Spannung, denn am ersten Dienstag nach dem Dionysiustage (9. Oktober) fand stets die Wahl des Bürgermeisters und des Steuereinnehmers statt. Dieses Relikt einer mittelalterlichen Stadtverfassung, das für jedes Jahr einem 14köpfigen Magistrat einen „regierenden Bürgermeister“ mit vielen Rechten zuordnete, verschwand seit 1794. Erinnert sei daran, dass der jährlich gewählte Bürgermeister nicht nur den Verkehr mit den landesherrlichen Instanzen zu vermitteln und die Stadt Euskirchen auf den Landtagen in Düsseldorf zu vertreten hatte, sondern dass er auch die städtischen Siegel und bei Nacht und Kriegsgefahr die Schlüssel der Euskirchener Stadttore zu verwahren hatte.
Die Tatsache, dass der »städtische Schultheiß« Tiel Gesell (1424-1451) sogar in der Judengasse (heute Bischofstraße) wohnte, beweist, dass die Stadtoberen früher keine Vorurteile gegenüber religiösen Minderheiten hatten.
Die Liste der Euskirchener Bürgermeister nach dem Abzug der Franzosen ist übersichtlich und scheint kontinuierliche Arbeit zu bestätigen. Alle Euskirchener Chroniken berichten lobend von Michael Boener (1817-1836), Franz Wierz (1836-1850), Peter Joseph Ruhr (1850-1871) und Carl Otto Selbach (1874-1904), die sich um die Kreisstadt Euskirchen verdient gemacht hatten.
Bürgermeister Carl Otto Selbach (1874-1904), seit 1905 Ehrenbürger der Kreisstadt Euskirchen
Bisher ist es keinem Stadthistoriker eingefallen, Bürgermeister Karl Wilhelm Steinhauer (1871-1874) aufzuführen. Auch eine Straße wurde nicht nach ihm benannt. Dies ist keineswegs verwunderlich. Der aus Königswinter stammende Kommunalpolitiker erfüllte nicht die in ihn gesetzten Erwartungen, war für finanzielle Unregelmäßigkeiten verantwortlich und hatte sich dafür gerichtlich zu verantworten. Am 13. August 1874 erfuhr der Leser der »Euskirchener Zeitung«, dass ein Untersuchungsrichter zurzeit mit der Vernehmung vieler Zeugen beschäftigt sei und gegen den früheren Bürgermeister Steinhauer Vorführungsbefehl erlassen worden wäre.
Jetzt versteht man auch, warum in der Euskirchener Südstadt keine »Steinhauer-Straße« zu finden ist.
Große Verdienste erwarb sich dagegen der aus Euskirchen stammende, ehemalige Premierleutnant in der französischen Armee, Michael Boener. Als Ritter der Ehrenlegion war er in seine Heimat zurückgekehrt. Er machte aus Euskirchen - damals ein schlichtes Ackerstädtchen - einen überschaubaren Verkehrsknotenpunkt und sorgte für wachsendes Gewerbe sowie die ersten Ansätze der später berühmten Euskirchener Tuchindustrie. Große Heidestrecken der Voreifelstadt ließ er in nutzbares Ackerland umwandeln.
Der Chronist fand im Archiv der Erzdiözese Köln ein Dokument, das den beliebten Bürgermeister sehr menschlich erscheinen lässt: Der Schulpfleger (Schulrat) und spätere Dechant Vogt, eng mit Bürgermeister Boener befreundet, teilte 1828 »vertraulich und dringend« als Ergänzung der »Visitations- und Conduitenliste« dem Kölner Erzbischof mit, dass sich der Bürgermeister in die junge Euskirchener Elementarlehrerin Julie Pilard verliebt habe und nach dem Besuch eines Euskirchener Weinlokals laut singend und »tändelnd« durch die heutige Neustraße gezogen wäre. Die kirchliche Schulaufsicht möge doch die junge Frau versetzen, damit der Bürgermeister wieder seine ganze Kraft in den Aufbau der Kreisstadt Euskirchen setzen könne. Tatsächlich wurde Julie Pilard einige Wochen später nach Kerpen versetzt, und dem tatvollen Schaffen des Euskirchener Bürgermeisters war keine Grenze mehr gesetzt.
Ehrenbürger-Urkunde für Carl Otto Selbach
Der 1836 gewählte Bürgermeister Franz Wierz, dessen verschnörkelte Schrift das Lesen der umfangreichen Jahresberichte zur Qual macht, dürfte wohl derjenige sein, der erstmals der Stadt Euskirchen den Ruf als „Stadt der Schulen“ einbrachte. Das damals differenzierte Schulsystem war in der gesamten Voreifel einmalig.
Am 18. Dezember 1850 wählte der Gemeinderat — laut dem noch erhaltenem Protokoll — den »Ackerbürger« Peter Joseph Ruhr zum Bürgermeister. Als Sohn eines Bierbrauers war er mit Franziska Biesen aus dem großen Gasthaus am Markt (später Hotel Joisten) verheiratet, hatte 1848 die Euskirchener Bürgerwehr organisiert, förderte als Fabrikbesitzer die heimische Tuchindustrie und war Mitglied aller Euskirchener Vereine. Er war es auch, dem es dank vielseitiger Bemühungen gelang, dass die Kreisstadt an das Eisenbahnnetz angeschlossen wurde.
Das Euskirchener Rathaus
Kaiserin- Augusta-Gymnasium auf der Münstereifelerstraße
Rabiat waren die Bürgermeister der nahen Umgebung. In diesem Zusammenhang wurde der Bahnhof von Mechernich am 17. Mai 1873 im »Intelligenzblatt für die Kreise Euskirchen und Rheinbach« erwähnt. Der Mechernicher Bürgermeister, der schon öfters seine Machtbefugnisse überschritten hatte und selbst bei Nacht gewaltsam in die Wohnungen seiner Mitbürger eindrang, um politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen, hatte sich auf dem Bahnsteig mit einem aus Schleiden zurückgekehrten Rekruten herumgeprügelt, dass „sich unter den Zuschauern eine allgemeine Indignation kundtat“. Mit einem Bambusstock, so ergänzte am 10. Mai schon die »Rheinische Zeitung«, hätte er sich von dem »Conskribierten« Achtung erlangen wollen.
Ein sehr angesehener Bürgermeister Euskirchens im19. Jahrhundert war Carl Otto Selbach, der in Mülheim das Polizeidezernat geleitet hatte, ehe er am 1. Oktober 1874 in Euskirchen die Amtsgeschäfte übernahm. Er brachte die Finanzen der Stadt wieder in Ordnung, förderte die heimische Wirtschaft und Industrie, sorgte für den Bau des Amtsgerichtes, des Schlachthofes sowie der Wasserleitung und baute die höhere Jungenschule zum Progymnasium und dann zur Vollanstalt aus (Emil-Fischer-Gymnasium).
Sein offizielles Ausscheiden aus dem Bürgermeisteramt am 30. September 1904 gab der Stadt Euskirchen und der Regierung Veranlassung, den verdienten Kommunalpolitiker angemessen zu ehren. Die Beigeordneten und Stadtverordneten überreichten ihm die von Joseph Passavanti (Köln) in künstlerischer Form ausgeführte Urkunde, durch die der Bürgermeister Carl Otto Selbach »in dankbarer Anerkennung seiner großen Verdienste um das Wohl und die Entwicklung unserer Stadt« zum Ehrenbürger ernannt wurde. Bürgermeister a. D. Selbach konnte den wohlverdienten Ruhestand noch etwa zehn Jahre lang genießen. Erstarb am 20. Juni 1915.